Ralf Besser Ralf Besser

Wertearbeit – ein Praxisbeispiel

Hören Sie doch mal mit dem Werte-Ohr zu

Ralf Besser

Das Arbeitstreffen, von dem ich hier berichten möchte, fand in der Wertelounge von Wertschaft - einer Bremer Werte-Initiative (www.wertschaft.de), an deren Gründung ich maßgeblich beteiligt war - in meinem Stiftungshaus in Bremen statt. Ein Teilnehmer unserer Lounge berichtete in leidenschaftlichen Worten von einem Ereignis in seiner Firma. Natürlich ging es um das Thema Werte und natürlich ging es darum, dass mit diesem Thema nicht adäquat umgegangen wurde. Im Kern: Guter Ansatz, weil die Werte zu einer Problemlösung beitragen – allerdings eine inkonsequente Umsetzung, in der die Potentiale nicht ansatzweise realisiert wurden.

Mit dem Werte-Ohr hört man anders - tiefer

Das entscheidende war allerdings, dass ich mich spontan entschied, nur auf meinem „Werte-Ohr“ zuzuhören. Was bedeutet das? Nicht mehr und nicht weniger als die innere Entscheidung zu treffen, den Inhalt nur noch peripher und hauptsächlich die Art und Weise der Schilderung, die mit der persönlichen Wertehaltung des Berichterstatters zu tun hat, wahrzunehmen. Das können allerdings nur Vermutungen, Hypothesen sein, aber es lohnt sich, sie zu bilden.

Nach dem der Beitrag zu Ende war, wurde es richtig interessant. Ich ließ die anderen anwesenden Gäste der Lounge zu zweit ebenfalls Spekulationen anstellen, welche drei wichtigen Werte sie indirekt herausgehört haben. Der Berichterstatter wurde aufgefordert, sich selbst seiner Werte in der geschilderten Situation bewusst zu werden.

Wertearbeit mit der Bodenscala

Spontan entschied ich mich, den Berichterstatter auf eine Bodenskala(1) von 0 bis 100% zu stellen und als Startposition die 0% einzunehmen. Die anderen Gäste sprachen ihm dann jeweils von der 100% Position leicht trancehaft jeweils einen der drei favorisierten Werte zu. Den Berichterstatter bat ich, die Augen zu schließen und die Angebote eher intuitiv als kognitiv wahrzunehmen. Werte wahrzunehmen benötigt einen emotionalen Zugang, so meine Hypothese. Nach einer angemessenen Zeit durfte er sich dann auf der Skala bei dem prozentualen Wert dort positionieren, wo der Wert entsprechend seiner Innenschau für die geschilderte Situation stimmig war. Das wiederholte sich mit wachsender Aufmerksamkeit insgesamt 12-mal.

Dann bat ich den Berichterstatter seine selbst definierten Werte in die Hand zu nehmen, sich wieder auf die 0 % Position zu begeben, sie sich selbst trancehaft vorzulesen und sie anschließend ebenfalls auf die Skala zu legen.

Fragen helfen bei Klärungsprozessen

Allein dieser Prozess war bereits voller Erkenntnisse. Die anschließende Phase ermöglichte eine weitere wesentliche Vertiefung. Ihm wurden Fragen gestellt. „Welche dieser Werte sind Ihnen generell in Ihrem Leben wichtig?“ - „Welche Werte stehen miteinander in Konflikt?“ – „Welche ergänzen sich und wollen sich verbinden?“ – „Welche sind sich ähnlich?“ – „Welche Werte sind voneinander abhängig?“ – „Welche unterstützen sich gerade in ihrer Unterschiedlichkeit?“ und „Welche Werte fehlen?“ – „Welche der gelebten Werte unterstützen den fehlenden Wert?“

Immer wieder musste er sich auf die Karten stellen, oft auch mit einem Fuß auf jeweils einem Wert. Das brachte gespürte Klarheit. Schnell wurde klar, dass einige Werte eher eine kognitive, andere eine emotionale Qualität hatten. Und die emotionalen Werte schienen wesentlich stärker ausgeprägt zu sein, als die eher sachlichen.

Der fehlende Wert ist der Schlüssel

Entscheidend war jedoch die Frage nach dem fehlenden Wert. Das brachte richtig Schwung in die Reflexion. Ganz einfach, weil den emotionalen Werten wie Leidenschaft so etwas wie „Diplomatie“ fehlte. Ich ließ ihn dann noch aus der Perspektive des wichtigsten Wertes mit dem fehlenden Wert in wechselnden Positionen reden.

Werte schonungslos diskutieren

Zum Abschluss ließen wir den Berichterstatter eine Außenposition einnehmen und diskutierten sehr kritisch über die aufgedeckten Werte. Dabei wurden wir durchaus sehr persönlich und zuschreibend. Anschließend redeten wir ebenso „schonungslos“ aus einer sehr wohlwollenden Haltung heraus über die Werte.

Ein durch und durch strahlendes Gesicht war während der gesamten Arbeit bei unserem Berichterstatter wahrzunehmen. 100 %-ige Aufmerksamkeit, hohe Beteiligung und erkenntnisreiche innere Prozesse.

Die Rückmeldungen: „Ich musste für mich die Werte ständig innerlich übersetzen. – Das kritische und positive Reden über die Werte war sehr wichtig. – Die Verknüpfung der Werte ebenfalls. – In die Werte hineinzugehen und von einem Wert zu einem anderen zu sprechen, war mit entscheidend. – Es gibt wirklich einen Unterschied zwischen einem gedachten und gefühlten Wert. – Die gefühlten Werte sind authentischer.“

Gut anderthalb Stunden dauerte der Prozess und war für alle anwesenden hochgradig erlebnisreich. So etwas wie eine „wahre, aufregende“ Begegnung war geschehen, die das Erleben einer besonderen Art von „Schönheit“ ermöglichte.

Literaturtipps

  • Buch: „Interventionen, die etwas bewegen“ im BELTZ-Verlag
  • Kartenheft: „Wertereflexion Methoden zum Aufdecken von Werten“, Verlag besser wie gut
  • Kartenheft: „Umgang mit Werten – 18 Hypothesen“. Verlag besser wie gut 

 

Zum Autor:

Ralf Besser, Jg. 1953, Dipl.-Ing., ist Prozessbegleiter, Gestalter und Betreiber eines Tagungshauses in Bremen sowie Gründer der „ralf besser stiftung für lebenswerte“. Er ist ferner Fachbuchautor u.a. von „Transfer - Damit Seminare Früchte tragen“, „Betriebsversammlungen, die etwas bewegen …“, „Interventionen die etwas bewegen … „ und hat mittlerweile einen eigenen Verlag gegründet, in dem er sein Produktreihe „kartenhefte- und boxen“ produziert und vertreibt. Ferner ist er Entwickler des „Wertespiels“. Seit 2010 ist er auch Präsident des FWW Forum Werteorientierung in der Weiterbildung e.V. Ab Herbst 2011 wird er auch die TT-Netzwerkgruppe des TT-Bremen leiten, die den Kontakt und Austausch der Kollegen im Raum Bremen ermöglichen soll.

Kontakt:

besser wie gut Beratung-Training-Tagungshaus
Dipl.-Ing.
Ralf Besser
Upper Borg 147
D-28357 Bremen
Tel. 0421-275840
Fax 0421-2769040
mail@besser-wie-gut.de
www.besser-wie-gut.de 

Hinweis der Redaktion:
Über
www.besser-wie-gute.de können Wertetools, Anleitungen und Materialien zum Thema Werte bestellt werden.

(1) Bodenscala: Auf dem Boden wird ein Seil ausgelegt und an den Enden mit den Werten 0 % und 100 % markiert. Die Teilnehmer können in der Skala ihre subjektiven Einschätzungen körperlich darstellen. Das hat den Vorteil, dass die geschätzten Positionen konkreter, weil körperlich – bewusst und unbewusst – reflektiert und definiert werden.

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