Ingrid Waxenegger, P. Christian Endler, Beatrix Wulkersdorfer, Heinz Spranger
Interuniversitäres Kolleg für Gesundheit und Entwicklung Graz / Schloss Seggau

Gezielter Einsatz des kinesiologischen Muskeltests*

Individuelle Prognose der Wirksamkeit einer therapeutischen Maßnahme durch den prä-therapeutisch angewendeten „kinesiologischen Muskeltest“

Zusammenfassung der Arbeit = Deutsche Version des Artikels Waxenegger et al. in The Scientific World Journal, September 2007

Einleitung

 

Hintergrund und Stand des Wissens

Der enorme Fortschritt der Medizin im letzten Jahrhundert ist u.a. der Anwendung wirksamer Medikationen zu verdanken. Die sprunghafte Entwicklung der Arzneimitteltherapie hat für den Arzt die Grenzen des Machbaren bedeutend erweitert. Dennoch kann die Anwendung eines wirksamen Arzneimittels immer auch mit dem Risiko unerwünschter Wirkungen verbunden sein [1].

Obwohl biologische Wirkstoffe als Medikamente strengen Zulassungsverfahren unterliegen, kann das Ausmaß des Auftretens der vollen Wirkung und von allfälligen Nebenwirkungen, nicht für den einzelnen Menschen prognostiziert werden. Dies liegt daran, dass sich Feldversuche in der Arzneimittelforschung an Normen statistischer Durchschnittswerte einer größeren Bevölkerungsgruppe und deren Kriterien orientieren (müssen). Die Wirkung auf den Einzelnen aber hängt, innerhalb der Streubreite, naturgemäß auch von dessen persönlicher Ausgangslage (Erkrankungsbilder, Typologie, Alter, Geschlecht etc.) ab.

Im Rahmen der allgemeinen, bekannten Wirkung kann der Effekt von Präparaten also individuell verschieden sein, jeder Mensch kann unterschiedlich auf ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Intervention reagieren. Auch bei gemäß pharmakologischem State of the Art adäquater Indikation können Pharmazeutika, die dem einen helfen, in anderen Fällen wirkungslos sein oder belastende Wirkungen haben.

Die konventionelle medizinische Befunderhebung entwickelte daher in einigen Fällen prätherapeutische Testungen, um eine optimale Wirkung zu prognostizieren und Nebenwirkungen zu vermeiden. Beispiele dafür sind das Antibiotika-Antibiogramm [2] die Chemosensitivitätstestung [3] oder auch die prätherapeutische Bestimmung pathogener Onkogene zur Therapie mit monoklonalen Antikörpern [4]. Am Beispiel der Antibiogramme
kann allerdings gezeigt werden, dass der Einsatz anamnestischer Testungen praktisch problematisch ist: Das Antibiogramm benötigt Zeitaufwand, der größer ist, als die zu erwartende Antibioselänge. Deshalb wird explorativ-therpeutisch auf „Breitbandeffekt“ indiziert.
Ziel der vorliegenden Studie ist es festzustellen, ob sich auch der so genannte „kinesiologische Muskeltest“ als Methode für die Prognose der Wirksamkeit einer bestimmten therapeutischen Maßnahme eignet.

Die Geschichte der Kinesiologie begann in den Jahren 1964/65 mit den Beobachtungen des Amerikaners George Goodheart [5] Die Methode umfasst diagnostische und therapeutische Aspekte, für die vorliegende Arbeit wurde nur der diagnostische (in diesem Fall: prognostische) Aspekt herausgegriffen. Bis heute hat sich die Kinesiologie als interdisziplinäre Methode verbreitet, die u.a. als funktionelle Untersuchung den so genannten manuellen Muskeltest einsetzt, um abzuschätzen, ob beim Patienten eine und gegebenenfalls welche Störung vorliegt und welche Behandlungsmethode zur Korrektur der Störung am besten geeignet wäre [6] Beim in dieser Studie verwendeten manuellen Muskeltest wird die Fähigkeit, eine gebeugte Gelenkstellung beizubehalten, d.h. der Widerstand, den der Proband dem Druck oder Zug des Testers entgegensetzt, vom Tester subjektiv bewertet „Schwächende“ Einflüsse (z.B. der bloße Kontakt mit einer unzuträglichen chemischen Substanz) sollen diesen Widerstand vermindern können.

Die empirische Studienlage zur Kinesiologie ist nach gängigen wissenschaftlichen Kriterien hingegen uneindeutig. So hat eine Studie zur Nahrungsmittelverträglichkeit und –unverträglichkeit [7] nicht zeigen können, dass die Kinesiologie eine valide Methode wäre. In einer weiteren Studie versuchten Kinesiologen, an verschiedenen Personen festzustellen, ob diese in Kontakt mit einer bestimmten Prüfsubstanz oder mit Plazebo waren. Auch hier zeigte sich der Muskeltest als nicht zuverlässig [8]. Hingegen hatte eine Studie, in der die kinesiologische Erhebung mit einem physiologischen Parameter (EKG) sowie mit Laborbefunden aus konventionellen Nahrungsmittel- und Medikamentenverträglichkeitstests verglichen wurden, deutliche Übereinstimmungen gezeigt [9].

 Abb. 1: Musculus brachioradialis (Thie 1996)

Forschungsfrage

Im Rahmen der vorliegenden Pilotstudie sollen die Forschungsfragen geklärt werden, ob die individuelle Wirksamkeit einer bestimmten therapeutischen Maßnahme durch den kinesiologischen Muskeltest vorhersagbar ist oder nicht.

Methodik

Im Speziellen wird überprüft, ob eine Senkung des Blutcholesterinspiegels vor Therapie mit Red Yeast Rice (RYR) vorhersagbar ist. Bei RYR handelt es sich um fermentierten Reis, der einen Pilz enthält, den so genannten Monascus pupureus, welcher aufgrund seiner cholesterinsenkenden Eigenschaften zum Einsatz kommt, in konzentrierter Form.

An der Studie nahmen 11 Personen (n = 11, 7 Frauen und 4 Männer zwischen 26 und 78 Jahren) mit erhöhtem Gesamtcholesterinwert teil, der durchschnittliche Wert betrug 310 mg/dl. (Normalwert: < 200 mg/dl) Es handelte sich um Patienten einer naturheilkundlich ausgerichteten Arztpraxis (W. Surböck, Österreich), deren Routine-Behandlungsverlauf durch die kinesiologische Vorab-Testung ergänzt wurde. Die eigentliche Behandlung mit RYR wurde in ärztlicher Verantwortung in Abstimmung mit den Patienten geplant und durchgeführt, die Vorab-Testung (I. Waxenegger) erfolgte freiwillig nach ausführlicher Aufklärung. Die Bestimmung der Cholesterinwerte vor und nach der Therapie wurde vom Laboratorium Dostal, Wien, durchgeführt.

Die Probanden nahmen über einen Zeitraum von 8 Wochen täglich 2x2 Kapseln des Präparates RYR-Extrakt zu je 500 mg zu sich.

Der kinesiologische Muskeltest wurde vor Beginn der Therapie eingesetzt, wobei der Musculus brachioradialis als Indikatormuskel diente (Referenz!). Dabei wird der Arm in die entsprechende Test-Position gebracht und der liegende Proband wird aufgefordert, diese zu halten, wobei der Tester einen leichten und langsam zunehmenden Druck ausübt. Im eigentlichen Test wird der Proband mit der zu bewertenden Substanz in Kontakt gebracht, im vorliegenden Fall wurde eine Kapsel RYR zwei cm oberhalb des Bauchnabels in Hautkontakt gebracht. Der einschlägig geschulte Tester bewertet nun, ob der Muskel in der Lage ist, dem Druck standzuhalten oder ob bzw. wann er nachgibt. Die diesbezügliche Annahme der Kinesiologie lautet, dass die Widerstands-Stärke des Muskels mit dem zu erwartenden therapeutischen Effekt der Substanz positiv korreliert ist.

Die Fähigkeit des Muskels, dem Druck des Testers Widerstand zu bieten, wurde vom Tester auf einer subjektiven Skala (0 - 100%) in Zehnerschritten angegeben.

Die Werte wurden dokumentiert (I. Waxenegger) und hinterlegt, ohne dass der Arzt oder die Patienten von ihnen Kenntnis gehabt hätten. Erst nach Abschluss der RYR-Therapie und Vorliegen der Blutlaborwerte wurden die Ergebnisse der kinesiologischen Vorab-Testung bekanntgegeben.

Für die globale Bewertung der Wirksamkeit der RYR-Therapie wurde die Veränderung des Gesamtcholesterins herangezogen.

Statistische Analyse

Die statistische Auswertung erfolgte mittels Korrelationsanalysen nach Pearson zwischen 4 Variablen, nämlich den Werten der Blutlabormessung sowie der kinesiologischen Vorab-Testung:

  • Gesamtcholesterin vor der Therapie
  • Gesamtcholesterin nach der Therapie
  • Differenz der Gesamtcholesterinwerte vorher - nachher
  • Vorab-Testung der Wirksamkeit

 

Ergebnisse

 

Überblick

Die vorliegende Pilotuntersuchung hat an einer relativ kleinen Stichprobe gezeigt, dass die Wirksamkeit der therapeutischen Maßnahme, bezogen auf den Gesamt-Blutcholesterinwert durch den kinesiologischen Muskeltest vorhersagbar war.

Abbildung 1 zeigt die Mittelwerte der Cholesterinmessung vor und nach der Therapie.

Da es einen signifikanten Unterschied zwischen den Gesamtcholesterinwerten vor und nach der eigentlichen RYR-Therapie gab, war auch die Auswertung der Ergebnisse der kinesiologischen Vorab-Testung der Wirksamkeit des verwendeten Präparates sinnvoll.

Tabelle 1 zeigt die Korrelation zwischen den Werten der Blutlabormessungen (Gesamtcholesterin) und der kinesiologischen Vorab-Testung.

  • Es zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang des Gesamtcholesterinwertes nach der Therapie mit der Vorab-Testung der
    Wirksamkeit (p = 0,036). Je höher also der prognostizierte Wert war, desto geringer war der Cholesterin-Wert nach der Therapie.
  • Auch besteht ein signifikanter Zusammenhang der Cholesterindifferenz vorher -nachher mit der Vorab-Testung (p = 0,016).
    Der individuelle Cholesterin-Ausgangswert hat keinen Einfluss auf die Prognostizierbarkeit der Wirksamkeit.

 

Diskussion

In der vorliegenden Pilotstudie sollte festgestellt werden, ob sich der so genannte kinesiologische Muskeltest als Methode für die Prognose der Wirksamkeit der hier verwendeten therapeutischen Maßnahme eignet. Dabei zeigte sich, dass der tatsächliche Effekt der Intervention mit der Vorab-Einschätzung durch den kinesiologischen Muskeltest mit statistischer Signifikanz korreliert war. Das Ausmaß des Auftretends der Wirkung und von Nebenwirkungen von Arzneimitteln etc. sind für den einzelnen Menschen üblicherweise nicht individuell prognostizierbar. Daher könnte der kinesiologische Muskeltest zur Optimierung der Auswahl und des Einsatzes von therapeutischen, adjuvanten und präventiven Maßnahmen Bedeutung haben. Dabei müsste natürlich sichergestellt sein, dass der entsprechend ausgebildete und qualifizierte Tester stets im Rahmen medizinisch verbindlicher Richtlinien handelt. Keinesfalls sollte eine nach medizinischen Kriterien notwendige Intervention aufgrund einer derartigen prä-therapeutischen Testung vernachlässigt werden.

Um das in dieser Pilotstudie nur angerissene Gebiet näher zu beforschen, wäre aus Sicht der Autoren ihre Fortsetzung mit einer größeren Probandenzahl sowie unter Einbeziehung mehrerer unabhängiger kinesiologischer Tester notwendig. Dabei sollten die untersuchten konventionellen Parameter differenziert werden: zur Beurteilung der Wirksamkeit sollten neben dem Gesamtcholesterin zumindest auch die HDL- und LDL-Fraktionen berücksichtigt werden. Schließlich wäre es wichtig, die prä-therapeutische Testung ggf. auch für konventionelle Pharmazeutika zu standardisieren.

Tabelle 1: Korrelationen nach Pearson und 2-seitige Signifikanzen. TC = Gesamtcholesterin

Literaturhinweise

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Pharmacother. 8, 1039-1058. Keller E. (2006) Aus dem Institut für Medizinische
Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der Ludwig-Maximillians-Universität
München, deposite.ddb.de, Page 1, S. 3.

2. Hindler, J.F., Stelling, J. (2007) Analysis and presentation of cumulative antibiograms: a
new consensus guideline from the Clinical and Laboratory Standards Institute. Clin Infect Dis.
15, 867-873. Genne D, Siegrist H. (2003) Vom Antibiogramm zur Wahl eines Antibiotikums, Schweiz
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3. Kurbacher, C.M., Grecu, O.M., Stier, U., Gilster, T.J., Janat, M.M., Untch, M., Konecny,
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4. Sliwkowski, M.X., Lofgren, J.A., Lewis, G.D., Hotaling, T.E., Fendly, B.M., Fox, J.A. (1999)
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5. Gin, R.H., Green, B.N. (1997) George Goodheart, Jr., D.C., and a history of applied kinesiology.
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7. Pothmann, R., Frankenberg, S.von, Hoicke, C., Weingarten, H., Lüdtke, R. (2001). Evaluation
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9. Omura, Y. (1981) New simple early diagnostic methods using Omura's "Bi-Digital ORing
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Ingrid Waxenegger, MSc

Ist Kinesiologin und Pädagogin. 1991 begann sie ihre Ausbildung im Bereich der Kinesiologie. Seit 1995 arbeitet sie hauptberuflich als Kinesiologin in Österreich und seit 1999 noch zusätzlich in einem Zentrum für Gesundheit. Sie leitet Ausbildungskurse für Touch for Health.

Kontakt:
Tel / Fax: 0043 / 3882 / 4330
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waxenegger@tele2.at

* Nachträglich Modifizierter Artikel

Veröffentlicht mit freudlicher Genehmigung des EVfK:


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Cunostr. 50 - 52
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