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Coaching mit Marte Meo

Verhaltensprobleme werden zu Möglichkeiten der Weiterentwicklung

Burkhard Wilm

Der Begriff Marte Meo stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „aus eigener Kraft“ oder „mit den eigenen Fähigkeiten“. Gemeint sind Kräfte und Fähigkeiten zur Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen, die wir durch Sozialisation und Professionalisierung entwickeln. Sie sind uns so selbstverständlich und werden von uns so sicher und intuitiv angewandt, dass wir sie im Alltagshandeln nicht beachten.

Entwicklung der Methode

Erst wenn wir in einer konkreten Situation - im Kontakt mit einem anderen Menschen - plötzlich das Gefühl haben, hier stimmt etwas nicht, die Verständigung klappt nicht, ich kann mich nicht verständlich machen oder mein Gegenüber hört mir nicht zu, beginnen wir, uns hilfesuchend dafür zu interessieren, woran es liegen kann, dass sich statt einvernehmlich guter Kooperation Stress- oder Konfliktgefühle entwickeln.

Maria Aarts aus den Niederlanden ist die Begründerin von Marte Meo, einer speziellen Form der Videoberatung. 1976 arbeitete sie in einer stationären Facheinrichtung für Kinder „mit besonderen Bedürfnissen“, z.B. autistischen und psychotischen Kindern. Durch die Analyse erster eigener therapeutischer Erfolge und die systematische Analyse zahlreicher Videoaufzeichnungen fand sie heraus, dass eine gelingende zwischen-menschliche Verständigung von bestimmten Verhaltensweisen in der individuellen Kommunikation abhängt. Eine gelingende Kommunikation zeigt sich insbesondere darin, dass es zu Verständigung und kooperativen Handlungen kommt.

Diese kooperationsförderlichen Verhaltensweisen bezeichnete sie als Marte Meo Elemente: Wahrnehmen, Bestätigen, Benennen, Sich-Abwechseln, Lenken und Leiten. Hinzu kamen die beiden übergeordneten Elemente: angemessener Ton und konstruktive Dialogtechnik.

Nach fast 40 Jahren ist die Marte Meo Methode buchstäblich den Kinderschuhen entwachsen und wird in immer mehr Feldern der psycho-sozialen Arbeit angewandt. Marte Meo Therapeuten und Berater arbeiten nicht nur in der Beratung von Eltern, Kindern und Jugendlichen, sondern auch in der Behindertenhilfe, der Altenhilfe, der Familien- und Paarberatung und immer mehr auch in der Personal-, Team – und Führungskräfteentwicklung.

Eine Ausbreitung findet auch in geographischer Hinsicht statt: Marte Meo ist mittlerweile in über 45 Ländern bekannt. Im internationalen Verzeichnis der zertifizierten Marte Meo Ausbildungsabsolventen sind mittlerweile über 18.000 Personen verzeichnet (www.martemeo.com).

Wie funktioniert Marte Meo?

Marte Meo nutzt Videoaufnahmen für die Aktivierung von Entwicklungsprozessen:

  • In einem Basisfilm von 5 bis 10 Minuten Länge wird die Situation aufgenommen, in der der Ratsuchende eine für ihn unbefriedigende soziale Interaktion erlebt.
  • Dieser Film wird vom Marte Meo Therapeuten / Berater analysiert.
  • 3-4 kurze Sequenzen (Clips), die am deutlichsten die Information über die vorhandene Stärken und ihre positive Wirkung auf die (angestrebte) Kooperation wiedergeben, werden ausgewählt und in einem Review (Feedbackgespräch) dem Ratsuchenden als gutes Beispiel vorgestellt.

Wer Rat sucht und sich bisher eher als hilflos und überfordert erlebt hat, oder seinen Interaktionspartner als behindert, problematisch oder entwicklungsgestört, kann nun feststellen, dass sich hinter seinem negativen Selbst- und Fremdbild, widererwarten doch eigene gute Erfahrungen verbergen.

Sich selbst als positives Vorbild wiederzuerkennen und sich mit seinen eigenen Fähigkeiten wieder auszusöhnen ist Anlass, viel Erleichterung und Freude zu empfinden. Beides sind Voraussetzung für einen erfolgreichen Lern- und Entwicklungsprozess. Das Video belegt im positiven Beispiel – über Stand- und Prozessbilder – die Wirksamkeit einer Kommunikation, denn es gestattet, eine Aktion in Verbindung mit der ausgelösten kooperativen Reaktion des Gegenübers anzuschauen, so oft es nötig ist.

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Zielgruppe Führungskräfte

Zur Zielgruppe von Marte Meo gehören von Beginn an Eltern, Betreuungs- oder Pflegepersonen, die lernen wollen, die Entwicklung ihrer Kinder oder Klienten und Klientinnen besser zu unterstützen. Seit einigen Jahren nutzen auch Führungskräfte Marte Meo, wenn Sie ihre Fähigkeiten in der Mitarbeiterführung und in der Personalentwicklung erweitern wollen. Es zeigt sich, dass Marte Meo nicht nur hilfreich ist, wenn es darum geht die Entwicklung eines Klienten zu unterstützen, sondern auch, wenn es primär um die Entwicklung eine ratsuchenden Lehrers, Erziehers, einer Führungskraft oder eines Mitarbeiters selbst geht.

Probleme als Möglichkeiten der Weiterentwicklung nutzen

In Marte Meo werden Verhaltensprobleme in Möglichkeiten übersetzt, sich weiterzuentwickeln. Maria Aarts betont, dass hinter jedem auffälligen Verhalten eine Entwicklungsbotschaft steht, die mit einer Marte Meo Interaktionsanalyse in eine Entwicklungsdiagnose umgewandelt werden kann (Aarts, 2011; S. 136 ff).

Auf Grundlage des Basisfilms erstellt der Marte Meo Coach eine Interaktionsanalyse, die die in diesem Film sichtbaren Kommunikationselemente in der Häufigkeit ihres Auftretens und in ihrer Wirksamkeit erfasst und damit Anhaltspunkte gibt, wo, im Hinblick auf den geäußerten Entwicklungswunsch des Coachees, eine Unterstützung aktiviert werden soll.

Problematisches Verhalten wird nicht verstärkt

Im Gegensatz zu anderen Beratungs- und Coaching-Methoden verzichtet Marte Meo an dieser Stelle konsequent darauf, problematische Verhaltensweisen im Bild zu zeigen, hervorzuheben, zu bewerten und zu etikettieren. Dies würde den Zugang zu den eigenen Ressourcen verschütten, zu weiteren Kränkungen und Demotivation beitragen, die jeglichen Entwicklungswunsch und -mut ersticken.

Stattdessen wird, wie bereits erwähnt, mittels der ausgewählten Clips, der Aufmerksamkeitsfokus auf die – vielleicht erst in kleinen Ansätzen sichtbaren – positiv wirksamen Kommunikationsfähigkeiten gelenkt.

Ein Fallbeispiel

Da ich Ihnen auf diesem Weg keine Beispielfilme aus der praktischen Fallarbeit zeigen kann, möchte ich ein Beispiel aus meiner Coaching-Arbeit mit Marte Meo vorstellen. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Beratung und Qualifizierung von Führungskräften, insbesondere im Themenkanon der sogenannten „Schlüsselqualifikationen“ (soziale, personale und arbeitsmethodische Kompetenzen). Aus diesem Kontext stammt das folgende Fallbeispiel:

Herr Schulz, Leiter eines Altenheims, sucht Unterstützung in der Entwicklung einer mitarbeiterbezogenen Team-Moderation. Er hat die Beobachtung gemacht, dass ihm die Mitarbeiter wenig folgen und eher passiv reagieren, wenn er mit Schwung und Begeisterung seine Themen und Ideen einbringt. Als Migrant mit polnischen Wurzeln versucht er seine leichten sprachlichen „Besonderheiten“ mit viel Gefühl, Gestik und Temperament auszugleichen. Seine Entwicklungswünsche sind:

  • „Ich möchte einen angemessenen Umgang mit gereizten Mitarbeitern finden, Ruhe und geordnete Reihenfolge der Wortmeldungen und Themen bei Dienstbesprechungen schaffen, so dass jeder Mitarbeiter ausreden kann.“
  • „ Ich möchte Strukturen schaffen, ohne einen Mitarbeiter zu beleidigen, sondern freundlich bleiben, aktiv und verantwortlich moderieren.“

Die erste Videoaufnahme zeigt eine Dienstbesprechung mit etwa acht Kolleginnen. Zu sehen ist, dass Herr Schulz bei seinen Wortbeiträgen offen in die Gruppe blickt, dabei aber wenig individuellen Blickkontakt herstellt, meistens in eine Richtung sieht und den Blick nicht in die Runde gehen lässt. Die Mitarbeiter hören schweigend und ohne große Regungen zu.

Wenn ein Mitarbeiter oder er selbst eine Frage stellt, nimmt er Blickkontakt auf, wendet sich der Person zu und spricht sie freundlich an. Er kann seine eigenen Initiativen (Handlungen, Gesten, Äußerungen) benennen, ankündigen oder erläutern. Entschiedene gestische und verbale Reaktionen seiner anwesenden Kollegen nimmt er wahr und greift sie auf.

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Herr Schulz leitet neue Tagesordnungspunkte meist mit längeren Erklärungen und Hintergrundinformationen ein, denen die Mitarbeiter geduldig zuhören. Den Abschluss von Themen gestaltet er meist kurz und bündig, mit einer Überleitung zum nächsten Thema im gleichen Atemzug. Ergebnisse werden nicht verstärkt oder positiv bewertet.

Seine Stimme ist ruhig, wechselt bei Betonungen schnell in eine hohe Lage. Herr Schulz verfügt und nutzt eine breite Modulationsfähigkeit seiner Stimme und weiß, dass er damit Aufmerksamkeit herstellen kann.

Insgesamt zeigt der Film, dass Herr Schulz lange redet und die Mitarbeiter wenig direkt anspricht. Nur ein bis zwei Mitarbeiter melden sich von sich aus zu Wort. Die meisten machen in der aufgenommenen Episode einen eher gelangweilten und freudlosen Eindruck.

Für den 10minütigen Basisfilm erstellt der Marte Meo Berater eine Interaktionsanalyse über die häufig bzw. eher selten gezeigten Kommunikationsmittel des Ratsuchenden. Aus dem Film werden vier kurze Episoden für das Review ausgewählt. Sie zeigen die eher seltenen Beispiele, in denen es Herr Schulz geschafft hat, einen konstruktiven Kontakt mit Mitarbeitern zu unterstützen (in dem Themenfeld, das Herr Schulz durch seine Entwicklungswünsche umrissen hat).

  • Im ersten Clip kann er sehen, wie er u.a. Blickkontakt herstellt und damit die angesehenen Mitarbeiter aktivieren und auf sein Anliegen hin fokussieren kann.
  • Im zweiten Clip sieht er, wie positiv die Mitarbeiter reagieren, wenn er eine Initiative startet und sich mit seinem Anliegen direkt (z.B. mit einer Frage) an einzelne Mitarbeiter wendet und ihnen dann Zeit und Aufmerksamkeit für eine Antwort gibt.
  • Im dritten Clip ist zu sehen, wie Herr Schulz eine Mitarbeiterinitiative wahrnimmt, ihr folgt und dem Mitarbeiter damit Wertschätzung vermittelt: Der Mitarbeiter öffnet leicht den Mund, holt Luft, als wolle er etwas sagen. Herr Schulz nimmt diesen Moment wahr, signalisiert „ja, ok“, spricht seinen Satz zu Ende und spricht dann den Mitarbeiter an, „Ja. Herr Günter, sie wollen etwas sagen?“.
  • Im vierten Clip liegt der Focus auf dem Abschluss und Neuanfang eines Moderationsthemas. Herr Schulz kann sehen, wie sich die Mitarbeiter freuen, wenn ein Besprechungsergebnis von ihm gewürdigt wird und er erst mit einem kleinen zeitlichen Abstand das nächste Thema einleitet.

Im Review selbst werden die Clips einzeln präsentiert. Es wird angekündigt, worauf zu achten ist um erkennen zu können, welches bestimmte Unterstützungsverhalten in dieser hier gezeigten Situation wirksam wird, worin die positive Reaktion (Kooperation) besteht und welche Bedeutung die Unterstützung für den Mitarbeiter hat. Der Ratsuchende kann dann im Betrachten des Clips diese Informationen über die gezeigten Bilder selbst erkennen. Er sieht sich damit selbst als positives Beispiel in einer Situation, die er vorher eher als kritisch und verunsichernd erlebt hat und in der er sein Verhalten eher als nicht positiv wirkend wahrgenommen hat.

Mit dieser neuen Selbst-Erkenntnis hat Herr Schulz jetzt eine Idee, wie er sich zukünftig unterstützend verhalten kann um wirksamer mit seinen Mitarbeitern in Kontakt und zu guter Kooperation zu kommen.

Nach dem Review erhält Herr Schulz die Arbeitsaufgaben:

  • sich noch deutlicher und direkter an die Mitarbeiter zu richten,
  • noch genauer auf deren Initiativen und Reaktionen zu achten und sie darauf anzusprechen
  • die Mitarbeiter noch mehr zu eigenen Beiträgen zu ermutigen und ihnen dafür Raum zu geben
  • und bei jeder Gelegenheit, auch bei kleinen Ergebnissen, diesen Wertschätzung zukommen zu lassen.

In zwei bis drei weiteren Film- und Review-Runden im Abstand von etwa fünf Wochen hat Herr Schulz deutliche Entwicklungsfortschritte gemacht: Er zeigt sich in den Teambesprechungen als guter Beobachter, der seinen Mitarbeitern Raum geben kann, sich einzubringen und seine Gefühle und Initiativen deutlich benennt. In Dialog- und Diskussionsphasen schafft er es mit sichtbarer Gelassenheit andere zu Wort kommen zu lassen, ihnen zuzuhören und sich zurückzuhalten.

Das Element „Leiten und Lenken“ bleibt entwicklungsfähig: Sein großes Engagement und die eigene Begeisterung machen es ihm offenbar nicht leicht, nicht alles in einem Rutsch abzuhandeln, sondern es zu portionieren und die Erfolge wahrnehmbar zu machen. Gute Fortschritte sind aber zu beobachten, er hat verstanden worum es geht und lässt sich auf die persönliche Herausforderung ein.

Voraussetzungen

Für den praktischen Einsatz von Marte Meo ist es wichtig, eine gut filmbare Alltagssituation zu finden. Bei Führungskräften ist das zum Einstieg oft die Moderation von Teambesprechungen oder Qualitätszirkeln gewesen. Mit den ersten Marte Meo –Erfahrungen haben sich Führungskräfte und Mitarbeiter dann gern auch „kritischeren“ Situationen zugewandt, weil dort noch ein viel größeres Entwicklungsbedürfnis bestand, z.B. dem „Führen von Personalentwicklungsgesprächen“ und dem „Führen von Konfliktgesprächen“.

Spätestens hier muss die Frage beantwortet werden, wie Marte Meo mit dem Datenschutz umgeht. Grundsätzlich gilt: Gefilmt wird nur mit dem (schriftlich erklärten) Einverständnis der sichtbaren Akteure. Filme und Clips werden nur im internen Schulungsprozess verwandt und anschließend gelöscht. Weitergehende Präsentationen / Veröffentlichungen bedürfen besonderer Genehmigungen.

Meine Erfahrung mit Marte Meo Coaching

Marte Meo ist eine absolut menschenfreundliche, wertschätzende Methode der Entwicklungsförderung. Es wird viel gelacht und Freude geteilt, mit der Erleichterung über die „doch“ vorhandenen eigenen Stärken. Irgendwann kann man auch über die technischen Anforderungen im Umgang mit Video-Kamera, Beamer und Filmverarbeitungsprogramm lachen und die Ansicht, Marte Meo sei doch zu zeitaufwändig, verkehrt sich angesichts der hohen Wirksamkeit gerade kurzer Inputs (max. 10 Min / Film, 20 Min / Review) in ihr Gegenteil.

Literatur-Empfehlung:

  • Maria Aarts; Marte Meo – Ein Handbuch. 3.überarbeitete Ausgabe. Hrsg: Aarts Productions 2011, 248 Seiten.

Der Autor: Burkhard Wilm

ist Diplom-Soziologe und Gesundheitswissenschaftler. Er arbeitet seit 1999 freiberuflich als Organisationsberater, Trainer und Projektentwickler in Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialversorgung. Vor acht Jahren entdeckte er Marte Meo für sich und integriert es seitdem in seine Trainings- und Coaching-Angebote für Führungskräfte und Mitarbeiter. 

Da Marte Meo eine entspannende und befriedende Wirkung auf die Kommunikationspartner hat, setzt Burkhard Wilm die Methode auch gezielt in Fortbildungen und Projekten der Gesundheitsförderung und der Prävention und Deeskalation bei herausforderndem Verhalten ein.

Als Marte Meo Therapeut und Marte Meo Supervisor i.A. bildet er seit drei Jahren selbst Mate Meo Anwender, Therapeuten und Berater aus und unterstützt Interessenten darin, Marte Meo auch in ihrem spezifischen Arbeitsbereich erfolgreich zur Anwendung zu bringen.

ZIMD consulting & evaluation
Dipl.-Soziologe Burkhard Wilm
Flehmannshof 29
D-33613 Bielefeld
Tel. 0521-3292828
Fax 0521-3292855
wilm@zimd.de
www.zimd.de – Beratung und Qualifizierung
www.martemeo-netzwerk.de –Videocoaching und Entwicklungsförderung

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