Christian Maier Christian Maier

Lassen Sie sich beim Lernen nicht vom Lehrer stören

Eine Gruppe geht in Richtung Waldparkplatz, dem Ausgangspunkt der ersten Nordic Walking Stunde. Sie gehen entspannt und sicher, reden nebenbei und sind fröhlich. Die Arme bewegen sich locker entgegen der Fußrichtung. Sie gehen so, wie man geht und machen sich so wie bei anderen Dingen, die man kann, keine Gedanken über das „wie“. So erreichen alle anstrengungs- und gedankenlos den Parkplatz.

Dort erwartet Sie der Nordic-Walking Instructor und deutlich erkennt man an Haltung und Blick der Ankommenden, wie sie in die Schülerrolle schlüpfen. „Der dort weiß was, das wird er uns jetzt sagen!“ „Das wird nicht einfach, habe ich schon von anderen gehört“ „Und diese aufmunternden Worte, wie gesund es ist usw., sollen uns nur ruhig stellen.“

Stöcke werden verteilt, deren Länge gemessen und eingestellt, die komplizierten Handschlaufen erklärt.

„Oh je, wenn ich das schon nicht kapiere“ meint der eine. Scheue Blicke Hin und Her, manches Gelächter, Gerede. …Unsicherheit erzeugt Sprechenergie.

Dann Ruhe, es folgen die Erklärungen: Körperhaltung, Schultern, Kopf, Brust, Arm- und Beinrhythmus, Halten des Stockes, Stockeinsatzpunkt, Abstoßpunkt, Drücken und Loslassen des Stockes.

Und nach der Theorie kommt die Praxis. Wir staksen los, und so wie das aussieht drängt sich der Gedanke auf „so ist das also, wenn man am Stock geht“! Der Stock bestimmt das Vorgehen, die Technik fordert den Kopf und die vormals sicheren Beine und Arme sind zu störendem, verwirrenden Ballast geworden.

Aber da ist er ja schon wieder, der Instructor, und hilft uns. Er zeigt und korrigiert: „weiter vorne dies, mit dem Arm mehr das, gleichzeitig das Bein nach da“ und schon walkt er dem nächsten Stakser hinterher, der vergeblich versucht ihm zu entkommen, indem er beschleunigt. Resigniert erwartet er seine Korrekturen, die er pflichtbewusst umsetzt - über leichte Verkrampfungserscheinungen in den Schultern hinwegsehend.

Wieder am Ausgangspunkt angekommen, legen alle die Stöcke ab und laufen bei weitem nicht mehr so sicher davon. Bei manchen hat es sogar den Anschein, dass sie nicht mehr richtig wissen, was sie mit ihren Armen machen sollen.

Da der Nordic-Walking Instructor bei mir auch schon Erfahrungen mit inner game gemacht hatte, kamen wir im Anschluss noch miteinander ins Gespräch

Nordic-Walking-Instructor (NW): Wie könnte man denn so eine Stunde mit inner game machen?
inner game Coach (IG): Was ist Ihnen denn so aufgefallen, Sie wirkten nicht so zufrieden?

NW: Ich war auch etwas im Stress. Ich habe erst vor kurzem meine Instructorprüfung gemacht und mit den eigenen Kollegen ist das ja auch so eine Sache.
IG: Das glaube ich, aber was ist Ihnen denn genau aufgefallen?

NW: Irgendwie ist die Gruppe auseinander gefallen und ich musste vor und zurückrennen.
IG: Was noch?

NW: Ich habe nicht das Gefühl, dass sie viel gelernt haben und ob es ihnen Spaß gemacht hat, weiß ich auch nicht so recht.
IG: Haben Sie es gelernt oder nicht, das können Sie doch erkennen?

NW: Für den Anfang war es schon OK, es lernt ja auch nicht jeder gleich. Aber ich habe es genauso gemacht, wie wir es gelernt haben.
IG: Ich fand, dass manche schon recht verkrampft wirkten?

NW: Das ist halt am Anfang so. Aber viele nutzen die Stöcke ohnehin nicht richtig, da kann man sagen was man will.
IG: Mir ist aufgefallen, wie die Teilnehmer nachher ohne Stöcke davonliefen …

NW: … ja, ich weiß, das sieht bei manchen aus, als können sie nicht mehr normal laufen …

Es geht nicht darum, Nordic Walking Trainer schlecht zu machen, sondern zu verdeutlichen, zu was ein zuviel an Technik, zuviel an Richtig und Falsch, zuviel an „äußerem Spiel“ führen kann. Und das fällt hier eben besonders auf. Sie verlernen nämlich im schlimmsten Fall etwas, was Sie schon konnten und laufen davon, als wäre das Gehen für Sie etwas Ungewohntes. Einem Skianfänger sehen Sie die Auswirkungen eines zuviel an „äußerem Spiel“ nicht an, da er mit keinem Können kommt. Anders beim Nordic Walking. Hier wird deutlich, was das Beispiel mit dem 1000-Füssler meint, der als er gefragt wird, wie er das mache, dass er so viele Füße bewegen kann, ohne zu stolpern, beginnt darüber nachzudenken, mit dem Ergebnis, dass er stolpert. So könnte eine inner game Nordic Walking Stunden aussehen:

Eine Gruppe geht in Richtung Waldparkplatz, dem Ausgangspunkt der ersten Nordic Walking Stunde. Sie gehen entspannt und sicher, reden nebenbei und sind fröhlich. Die Arme bewegen sich locker entgegen der Fußrichtung. Sie gehen so, wie man geht und machen sich so wie bei anderen Dingen, die man kann, keine Gedanken über das „wie“. So erreichen alle anstrengungs- und gedankenlos den Parkplatz.

Die erste Frage des inner game Coachs lautet: Was geht euch eigentlich zum Nordic Walking so durch den Kopf? Manche schmunzeln und sagen, dass sie es eigentlich schon ziemlich lächerlich finden, so verkrampft und unnatürlich durch die Gegend zu laufen und dabei auch noch Krach zu machen. Einige pflichten bei, aber sie hätten auch gehört, dass es besonders gesund sein soll. Einer meinte, der Vorteil der Stöcke wäre, dass man damit angreifende Raubvögel und Hunde abwehren könne. Es wurde noch ein bisschen hin und her geredet, bis einer sagte: Lass es uns doch einfach mal Ausprobieren.

„Gut, eure erste Aufgabe ist, heraus zu finden, wie diese Stöcke funktionieren und wer es schon weiß, hält sich bitte mit Ratschlägen für die anderen zurück“ Alle probieren, drehen und ziehen, manche suchen schon den besten Weg in die unterschiedlichen Schlaufen. Es macht Spaß, man hilft sich gegenseitig und kommt miteinander ins Gespräch. Schließlich stehen alle mit 2 Stöcken da, manche mit zwei rechten, andere dagegen mit 2 linken, aber das merken sie erst später und es stört daher auch niemanden. Genauso wenig wie die Tatsache, dass manche Stöcke zu kurz, andere dagegen zu lang eingestellt sind. Und der Coach gibt keinerlei Handlungsanweisungen.

„Wir versuchen jetzt gemeinsam heraus zu finden, was der Ursprung des Nordic Walking gewesen sein könnte, denn Nordic Walking ist vermutlich nicht am Schreibtisch ausgedacht worden, sondern beim Gehen entstanden. Wir machen uns jetzt auf die Spur und finden die Idee des Nordic Walking heraus.“

Alle machen sich auf den Weg, die meisten lustig entspannt, manche angespannt – sie hatten schon mal irgendwo gesehen oder gehört wie es geht und versuchen es nachzumachen. Kurzer Halt und Austausch. Zwei Dinge sind uns aufgefallen: Man läuft aufrechter und schneller. Und schon geht es wieder weiter mit der Frage: Was könnte eigentlich der Vorteil sein, am Stock zu laufen? Vergesst dabei alles, was ihr bisher gehört oder gesehen habt. Lasst einfach euren Körper gehen.“

Und wieder erforschen alle das eine Weile und beim nächsten Halt sprechen manche schon von bewußterem Rhythmus und ähnlichen Dingen. Zwischenzeitlich gab es auch einen Stopp, bei dem sich alle mit den Schlaufen befassten. Als wir dann die Wahrnehmung noch darauf lenken sollen, was eigentlich in den Stöcken drin steckt sind sich alle einig „Es ist ein deutlicher Unterschied, ob man mit oder ohne Stöcke geht. Die Arme werden mit beansprucht, die Muskeln im Oberkörper aktiviert, der Brustkorb geöffnet – eine wirkliche Alternative um den Körper ganzheitlicher zu beanspruchen.“

Wir beginnen uns gegenseitig zu beobachten, indem jeder einen Kreis läuft, mal mit mal ohne Stöcke und wir danach gemeinsam die Unterschiede austauschen. Nicht „richtig“ oder „falsch“ spielt eine Rolle, sondern was ist der Unterschied im Gang, ob mit oder ohne Stock. Einige Beobachtungen waren: er geht mit Stock schneller, sicherer, zielgerichteter, energischer, den Blick in die Weite gerichtet, ohne Stock eher langsamer, Blick nach unten u.v.m.

Ob in dieser ersten Stunde das „richtige“ Nordic Walking entdeckt wird mag dahingestellt werden, genauso wie es sicherlich noch eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten für diese Übungsstunde gibt. Was aber sicher ist, und darauf kommt es mir an ist ...

  • ...alle haben gelernt, mehr in den eigenen Körper hineinzuhorchen
  • ... spielerischer und leichter an die Aufgaben heranzugehen
  • ... beim Lernen Spaß zu haben und locker und entspannt zu bleiben
  • ... Lust weiterzumachen und weiterzuforschen.

Kann man sich als Lehrer, Trainer oder Führungskraft mehr wünschen? Lebendige, motivierte, neugierige Teilnehmer. Auch das eigene Wissen kommt (endlich) zum Zug, da Fragen gestellt werden. Entscheidend ist dabei, dass jeder gemäß seinem inneren Spiel, seinen eigenen Weg finden konnte, um herauszufinden, was denn das Wesentliche an dieser Bewegungsform sein könnte. Er muss sich nicht mit Äußerlichkeiten, mit Technik, mit richtig und falsch beschäftigen, sondern mit sich und der Bewegung. Dafür den passenden Spielraum zu geben ist dabei das Wesentliche. Gemeint ist dabei Spielraum im Sinne von Freiheit und Platz sowie im Sinne von Spielen, spielerisch, spielend.

Das zu geben und sich mit seinem Wissen zurückhalten, obwohl man dauernd sogenannte „Fehler“ sieht, ist eine, wenn nicht die größte Herausforderung für alle Lehrenden.

„Lassen Sie sich beim Lernen nicht von Lehrern stören, auch wenn sie es gut meinen!“
inner game Weisheit

Auszug aus dem Buch Spielraum für Wesentliches von Christian Maier:

 

Buch Spielraum für Wesentliches, Christian Maier

SPIELRAUM   FÜR WESENTLICHES 
Christian Maier 
19,50 EURO,  38,00 CHF 
192 Seiten
inkl. 3 Jongliertücher
1. Auflage   2007 gebunden
allesimfluss-Verlag
ISBN   978-3-9809167-2-1 

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In der nächsten Woche geht es weiter mit der inner game Reihe.
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