Christian Maier Christian Maier

Die Erotik des Versagens

Es gab einmal einen Menschen, der konnte so viel und es fiel ihm so leicht, alles zu lernen, dass er unbedingt einmal erleben wollte, wie es ist, etwas nicht zu schaffen, zu scheitern. Und da er schon manches Mal erlebt hatte, dass er nicht so geschickt mit den Händen war, wählte er das Jonglieren. Man hatte ihm gesagt, dass das äußerst schwierig sei, und daher hielt er es für ein gutes Übungsfeld.

Voller Tatendrang besorgte er sich drei Bälle und fing an zu üben. Er warf die Bälle in die Luft und freute sich darüber, wie sie auf den Boden purzelten, hob sie auf, warf sie wieder in die Luft, um sie anschließend wieder vom Boden aufzuheben. Er war glücklich darüber, dass ihm das Jonglieren nicht gelang, ja es machte ihm viel Spaß, immer wieder die Bälle einzusammeln.

Aber halt, was war das? Plötzlich lagen nur noch zwei Bälle auf dem Boden und einen hielt er in der Hand! Wie konnte das geschehen? Er machte weiter und immer wieder kam es vor, dass er einen Ball in der Hand hielt. Aber einen Ball fangen ist ja nicht Jonglieren, und so war er immer noch sehr zufrieden mit sich. Er fuhr fort und es dauerte nicht lange, da hatte er zwei Bälle in der Hand und nur noch ein Ball lag auf dem Boden. Da zog sich in ihm alles zusammen. Würde es wieder nicht klappen, das Scheitern zu lernen? Er war frustriert, wollte aber noch ein paar Versuche machen. Zaghaft, an sich zweifelnd und voller Beklemmung warf er also die Bälle noch einmal in die Luft und siehe da, sie fielen wieder alle auf den Boden. Er machte es noch ein paar Mal und als sie immer wieder auf den Boden fielen, begann er sich wieder zu freuen und alle Anspannung fiel von ihm ab. Er würde es schaffen zu scheitern.

Kaum hatte er begonnen, sich wieder richtig zu freuen, hatte er schon wieder zwei Bälle in der Hand und kurz darauf flogen alle durch die Luft, ohne dass einer auf den Boden fiel. In diesem Augenblick kam ein Freund ins Zimmer und sagte „Mensch, du kannst ja jonglieren, was du nicht alles kannst!“ Daraufhin legte er die Bälle weg und erzählte seinem Freund, was er vorgehabt hatte und was dabei rausgekommen war. Und gemeinsam fanden sie heraus, dass man nur dann richtig gut scheitern kann, wenn man sich ordentlich verkrampft, wenn man an sich zweifelt, wenn man die Luft anhält, wenn man Angst hat, Fehler zu machen, wenn man die Dinge nicht loslässt. Etwas traurig, es wieder nicht geschafft zu haben, saß er da, als sein Freund plötzlich sagte: “Du hast es eben doch geschafft, du bist gescheitert an dem Versuch zu scheitern und hast dabei auch noch Jonglieren gelernt, herzlichen Glückwunsch!“

Es mag provozierend, ja gar widersprüchlich klingen, aber die Erotik des Versagens oder die Lust am Scheitern ist ein wesentlicher Faktor, um erfolgreich zu sein. Denn sie führt vor allem zu einem: Die Angst zu scheitern verschwindet.

Umgekehrt führt die weit verbreitete Fixierung auf den Erfolg zu gegenteiligen Phänomenen. Hier liegt der unbedingte Wille erfolgreich zu sein zugrunde. Misserfolg wird als schlecht, als negativ angesehen und alle Kräfte werden eingesetzt, um ihn zu vermeiden. Fehler zu machen ist nach dieser Grundhaltung ebenso wenig erlaubt, wie das Misslingen schlechthin. Erfolg wird zu einem Götzen, an den man kritiklos glaubt.

Erfolg ist gut, Misserfolg schlecht. Das führt oft so weit, dass die Realisierbarkeit von Zielen überhaupt nicht mehr geprüft wird. „Wir müssen Erfolg haben, koste es, was es wolle“. Diese starre Fixierung auf den Erfolg führt genauso zu Verkrampfungen wie die Vermeidung von Misserfolg. Außerdem ist dieser Druck auf Dauer so belastend, dass der Misserfolg vorprogrammiert ist.

Die landläufige Meinung ist, dass allein der Erfolg mit Glück verbunden ist. „Wenn ich dieses und jenes erreicht habe, bin ich glücklich“ oder „Wenn ich so gut bin, wie jener dort, dann bin ich glücklich“! Dabei passiert Folgendes: Zum einen richtet man seinen Blick wieder ausschließlich auf den zukünftigen Erfolg und ärgert sich unterwegs über jedes scheinbare Scheitern. Man hadert mit sich. Und wenn man schließlich am Ziel angekommen ist, bleibt nur ein fades Gefühl. Keine Spur von Glücklichsein. Kein Wunder – bei dem schrecklichen und anstrengenden Weg, den man bis dahin gegangen ist.

Bei einem Skiseminar mit einer Gruppe von Beginnern habe ich die Teilnehmer einmal anderen Skifahrern zuschauen lassen, mit der Aufforderung „Zeigt mir Skifahrer, die so gut fahren, dass ihr sehr glücklich wärt, wenn ihr das jetzt auch so könntet“. Und sie zeigten auf diesen und jenen Skifahrer. Als ich meine Teilnehmer dann fragte, ob diese Skifahrer denn glücklich wirkten, stellten sie fest, dass kaum einer wirklich glücklich aussah. Im Gegenteil, teils verbissen, teils sehr ernst und kämpferisch, teils vollkommen gleichgültig fuhren diese Könner den Hang hinunter. Auf die Frage, ob wir mit unseren Glücksgefühlen beim Skifahren warten sollten bis zu einem gewissen Grad des Könnens, nur um dann gar keine mehr zu haben, waren wir uns einig, dass wir die auch gleich haben können. Und mit viel Lachen und Spaß erforschten wir die Kunst der Kontaktaufnahme mit dem Schnee.

Wenn man akzeptiert, dass Gelingen und Scheitern zusammengehören und dass die Lust am Scheitern sogar zu einem Mehr an Gelingen führt, kann man sich endgültig von dem weit verbreiteten „Ich kann nicht“ verabschieden. Denn diese Einstellung ist nichts anderes als das ständige Ausweichen vor einem möglichen Scheitern. Wer aber, womöglich gewohnheitsmäßig, kapituliert, ohne überhaupt einen Versuch gemacht zu haben, dessen Selbstvertrauen wird durch diese Vorgehensweise bestimmt nicht gestärkt werden. So ist das eigentlich Fatale an dieser Haltung, dass Minderwertigkeitsgefühle vorprogrammiert sind und dass das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten unbegründeterweise immer mehr schrumpft. Folge eines Aufaddierens des Nichtversuchthabens. Und es überrascht mich immer wieder, wie viele Menschen zu etwas „Ich kann das nicht“ sagen, ohne es jemals vorher ausprobiert zu haben.

„Ich kann nicht, gibt’s nicht.“
inner game Weisheit

Auszug aus dem Buch:

 

Buch Spielraum für Wesentliches, Christian Maier

SPIELRAUM   FÜR WESENTLICHES 
Christian Maier 
19,50 EURO,  38,00 CHF 
192 Seiten
inkl. 3 Jongliertücher
1. Auflage   2007 gebunden
allesimfluss-Verlag
ISBN   978-3-9809167-2-1 

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In der nächsten Woche geht es weiter mit der inner game Reihe.
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