Iris Kuhnert Iris Kuhnert, Dipl.-Wirtschaftsjapanologin

Die Zahlen stimmen.
Und was ist mit dem Rest?

Cultural Due Diligence – die kulturelle Übereinstimmung zweier Unternehmen als Garant für erfolgreiche M&A-Projekte

Die weltweite Zahl der Fusionen und Akquisitionen (M&A) ist in den letzten Jahren rapide angestiegen. Dies gilt ebenso für Direktinvestitionen durch ausländische Unternehmen in Japan wie auch für japanische Unternehmen, die sich im Ausland nach geeigneten Unternehmen umschauen. Dabei ist es Routine, die finanziellen, operationalen und technischen Zahlen eingehend zu prüfen. Wenn diese für die Strategie des kaufenden Unternehmens passend sind, steht dem Vollzug des Mergers selten noch etwas im Wege. Was jedoch oft zum Fluch einer Fusion wird, ist die Unvereinbarkeit von zwei Unternehmenskulturen. Doch mit Hilfe einer sorgfältigen Analyse dieser jeweiligen Kulturen kann dem menschlichen Aspekt eines solchen Projektes Rechnung getragen und die rein quantitative Prüfung von Unternehmen vervollständigt werden.

Laut Zahlen des Research Industry of Economy, Trade and Industry (RIETI) stieg die Gesamtzahl von M&A-Projekten in Japan von etwas mehr als 1000 im Jahre 1999 auf mehr als 2700 im Jahre 2006. Davon sind rund 500 Akquisitionen internationaler Natur. Diese Zahl erscheint vergleichsweise gering, verdient jedoch umso mehr unsere Aufmerksamkeit, da die Probleme, die in Ermangelung einer Cultural Due Diligence auftreten, durchaus weitreichende Folgen für das internationale Netzwerk der Organisationen haben. Denn neueste Studien kommen zu dem Ergebnis, dass nur geschätzte 25 Prozent der M&A ihre angestrebten Ziele erreichen. Mit anderen Worten: 75 Prozent aller M&A sind nicht erfolgreich!

„Of course the merger was a success. Neither company could have lost that much money on its own.“

Steve Case, Former Chairman of the Board, AOL/Time Warner

Was sind die Gründe für solch eine enorme Anzahl an Misserfolgen? In den meisten Fällen hat es weniger damit zu tun, dass die Zahlen nicht richtig interpretiert worden sind. Es hat eher damit zu tun, dass man vor dem Zusammenschluss die Konsequenzen unterschiedlicher kultureller Werte nicht ausreichend geprüft hat. Die Menschen der fusionierenden Organisationen werden oft einfach unter einem Dach zusammengebracht, ohne dass ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, die Eigenheiten des anderen kennen zu lernen, geschweige denn zu verstehen. Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Partner nach dem Bezug einer gemeinsamen Wohnung Verhaltensweisen an den Tag legte, die Ihnen so gar nicht passen? Wenn Sie es schaffen, den Partner in seiner Andersartigkeit zu verstehen, zu respektieren und gemeinsam Lösungen entwickeln können, dann kann ihre Partnerschaft von Dauer sein. Falls nicht, werden unüberwindbare Differenzen der Partnerschaft bald ein Ende setzen. Da bei Unternehmenshochzeiten mehr als zwei Personen betroffen sind, die unter einem Dach zusammenkommen, erscheint es nur logisch, dass sich Unternehmen im Vorfeld über die jeweils bestehenden kulturellen Werte im klaren sein sollten und vor dem Umzug Analysen durchgeführt werden, die zeigen ob und wie Unterschiede im Post-Merger-Prozess beseitigt werden können. Dies geschieht leider noch viel zu selten.

Unternehmenskultur?

Die Kultur einer Organisation kann wie folgt definiert werden: "Kultur", so der Managementberater Jörg Schmitz, "besteht aus den grundsätzlichen Annahmen, Werten und Glaubensgrundsätzen, die von den Mitgliedern einer Organisation geteilt werden. Das daraus resultierende Verhalten wird gegenseitig erwartet, bestärkt und belohnt. "

Die Werte und das damit einhergehende Verhalten laufen eher unbewusst ab und es wird für selbstverständlich gehalten, dass man sich beispielsweise in Gruppendiskussionen eher zurückhält und seine Meinung nicht verteidigt oder gar den Chef kritisiert – ja, Sie haben es erkannt, ich spreche gerade von japanischen Werten.

Eine weitere wichtige Bedeutung der Unternehmenskultur wird darin gesehen, dass sie den Rahmen zur Erreichung der Ziele setzt und dieser den Mitgliedern die notwendigen Mittel an die Hand gibt, um effektiv miteinander kommunizieren und kooperieren zu können. Wird eine Unternehmenskultur positiv erlebt und aktiv gelebt sowie auch von den Führungskräften in ihrer Rolle als Vorbild demonstriert, ist es den Mitarbeitern möglich, Veränderungen und Konflikte erfolgreich zu meistern. Wenn zwei Organisationen zusammenkommen, werden deren Werte aufgrund des unterschiedlichen Verhaltens sichtbar. Es kommt zu einer Art Kulturschock, der bei den einzelnen Mitarbeitern eine Bandbreite an Gefühlen auslösen kann, je nachdem wie attraktiv oder abstoßend das Verhalten der anderen Seite empfunden wird. Je größer kulturelle Unterschiede empfunden werden, desto größer ist der Schock. Ausnahmen gibt es nur, wenn die eigene Kultur als wenig erfolgreich und/oder bedrückend empfunden wird. Dann ist die Bereitschaft gegeben, sich der anderen Kultur anzupassen. Die Praxis zeigt jedoch, dass dies in den wenigsten deutsch-japanischen Zusammenschlüssen, sowohl in Japan als auch in Deutschland, der Fall ist.

Prallen Unternehmenskulturen ungebremst aufeinander, kann dies folgende Ursachen haben:

  • Ignoranz und fehlendes Verständnis (und leider oft auch der fehlende Wille, die andere Seite zu verstehen) 
  • Mangelnder Respekt für die Werte und das damit einhergehende Verhalten des Anderen 
  • Arroganz und das Gefühl, der anderen Kultur überlegen zu sein

Bei deutsch-japanischen Zusammenschlüssen hören wir immer wieder folgende zwei Probleme: Die Japaner sind bestürzt über das dominante Verhalten und die extrem direkte Kommunikation der Deutschen. Die Deutschen sind frustriert und gereizt, weil die Japaner keine Initiative zeigen und jede Veränderung kompromittieren.

Beide Seiten wollen das Beste und haben nicht erkannt, dass das Beste nicht von beiden Seiten auf die gleiche Weise definiert wird. In anderen Worten: Kühle Rechner, Top-Strategen und Controller haben nur einen Teil ihrer Hausaufgaben gemacht, denn wenn der „Humanfaktor“ vergessen wird, kann die Gleichung am Ende nicht aufgehen.

Kultur ist „berechenbar“

Kultur ist nicht einfach ein schwammiges Gebilde. Mit Hilfe von modernen, wissenschaftlich fundierten und systematischen Methoden ist es möglich, Kultur in sogenannte „Dimensionen“ zu unterteilen. Durch entsprechende Analysen und Assessments kann man sehr genau definieren, wo die besten Synergien und/ oder die größten Herausforderungen beim Zusammenschluss von zwei Unternehmen liegen.

Dieser „Prozess, der den Grad der kulturellen Übereinstimmung zwischen zwei Unternehmen zum Ziel hat, wird ´Cultural Due Diligence` genannt.“

Idealerweise wird solch ein Prozess gleich zu Beginn der M&A-Gespräche gestartet. Ist dies nicht der Fall, kann der Prozess zu jeder Zeit implementiert werden und resultiert in einem begleitenden Programm aus Workshops, Coaching und selbstgesteuertem, individuellen Lernen.

So können Führungskräfte und Mitarbeiter erkennen, was die Gründe für unterschiedliche Vorgehensweisen sind und können mit Hilfe von Moderatoren und Trainern gemeinsam Wege erarbeiten, die für den Erfolg des Mergers von größter Bedeutung sind.

Egal, ob man sich für ein individuell entwickeltes Umfrage-Tool oder für bestehende Kultur-Analysen entscheidet, folgende Punkte sollten bei einem Cultural- Due-Diligence-Projekt auf jeden Fall berücksichtigt werden:

  • Wie sind die Strukturen in den beiden Organisationen aufgebaut? 
  • Welche Werte und Verhaltensweisen werden jeweils in den Organisationen erwartet, bestärkt und belohnt? (Diese Werte werden mit Hilfe von Kulturdimensionen dargestellt, zum Beispiel hierarchisch-gleichberechtigt; direkte Kommunikation/indirekte Kommunikation) 
  • Wie hoch sind die Akzeptanz und das Committment gegenüber der neuen Vision und Strategie? 
  • Welche Führungsstile werden gelebt? 
  • Welche Merkmale hat die ideale Organisationskultur nach der Fusion? 
  • Welche Normen regeln das Zusammenspiel, zum Beispiel bezüglich Kommunikation und Entscheidungsfindung?

Antworten auf folgende Fragen geben Aufschluss über die Vereinbarkeit der beiden Unternehmen und mögliche kulturelle Unterschiede:

  • Ist das Management hierarchisch oder dezentralisiert? 
  • Wie hoch ist die Akzeptanz von Matrixorganisationen? 
  • Fördern die Führungskräfte Teamarbeit oder individuellen Wettbewerb? 
  • Wie gehen die Organisationen mit Veränderungen um? Werden sie eher vermieden oder eher begrüßt? 
  • Welche kulturellen Stärken sehen die jeweiligen Organisationen bei sich und bei dem anderen Unternehmen?

 

Herausforderungen für die Führungskraft

Besonderes Augenmerk und entsprechende Unterstützung sollten auch die Führungskräfte vor und während einer Fusion erhalten. Warum dies so ist, wird durch einen Vergleich, den der Kulturwissenschaftler Geert Hofstede geprägt hat, deutlich:

„Eine Post-Merger-Integration ist so, also würde man ein Pflegekind erziehen wollen, das man mitten in der Pubertät adoptiert.“

Das bedeutet, dass die Führungskraft alle Register ihres Könnens ziehen muss, um das pubertierende Kind zu führen. Im Klartext heißt dies, dass Stärken, Schwächen, Hoffnungen, Befürchtungen, Wünsche, Ängste und viele weitere Gefühle und daraus resultierendes Verhalten ernst genommen werden müssen, damit dem Kind – also den Menschen, die die neue Organisation repräsentieren – eine Sinn stiftende und motivierende Identität gegeben werden kann. Diese Identität soll die Mitarbeiter miteinander verbinden und eine effektive und erfolgreiche Zusammenarbeit sichern. Hier können insbesondere das individuelle Coaching für Führungskräfte oder die Einrichtung von Change-Teams, kollegiale Beratung und andere professionelle Unterstützung von großer Hilfe sein.

Wer bereits Erfahrung mit pubertierenden Menschen gemacht hat, weiß, dass solch eine Identitätsfindung nicht über Nacht passiert. Daher sollten auch die Maßnahmen, die aufgrund der Cultural Due Diligence eingeführt werden nicht nur kurzfristig angesetzt sein. Ein deutsch-japanisches oder japanisch-deutsches Kind ist eine noch größere Herausforderung. Hier kommen zusätzlich zu den Unterschieden in der Organisationskultur erhebliche länderspezifische und individuelle Unterschiede zum Vorschein, denen im Rahmen der Cultural Due Diligence und den daraus resultierenden Maßnahmen ebenfalls Rechnung getragen werden muss. Je nach Größe der Fusion ist ein Zeitraum von 8 bis 16 Monaten angebracht, um zum Beispiel durch Workshops, Coachings, Teamentwicklungen und andere Maßnahmen einen erfolgreichen Übergang in eine neue Identität zu gewährleisten.

Ist ein solches Projekt systematisch aufgebaut, wird es auch dem Anspruch der Controller nach nachweisbarem Erfolg gerecht. Es ist üblich, dass zu Beginn eines Projekts dessen Meilensteine und Ziele und Wege zu deren Umsetzung und Messung festgelegt werden.

Ressourcen schonen

Unterschiedliche Unternehmenskulturen und der nachlässige Umgang mit diesen Unterschieden sind in vielen Fällen für das Scheitern von M&A Projekten verantwortlich. Sorgfalt ist also nicht nur bei technischen, operativen und finanziellen Daten geboten, sondern auch bei den sogenannten „soft facts“, den Werten und Normen, die in einem Unternehmen gelebt werden. Mit Hilfe von Cultural Due Diligence sollen signifikante Unterschiede zwischen den fusionierenden Unternehmen deutlich werden. Die Ergebnisse einer solchen Analyse dienen dazu, die unterschiedlichen Interessensgruppen darauf aufmerksam zu machen, dass es potentiell Unterschiede gibt und diese entsprechend angegangen werden können und müssen.

Cultural Due Diligence ist ein vorausschauender und lösungsorientierter Prozess, der fusionierenden Unternehmen hilft, mit wertvollen Ressourcen (Mensch und Kapital!) schonend umzugehen. Damit wird ein wichtiger Grundstein für den erfolgreichen Zusammenschluss von deutsch-japanischen und japanisch-deutschen Unternehmen gelegt.

KONTAKT

Iris Kuhnert berät als Gründerin von ICM Consulting seit 1995 Unternehmen in den Bereichen interkulturelle Kompetenz, Teambuilding, Führungskräfteentwicklung und internationale Unternehmensführung.

kuhnert@icm-consulting.com 
www.icm-consulting.com 

 

Quelle: Artikel ist auch erschienen in der Fachzeitschrift Japanmarkt 3/2009

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