falko wilms peter jancsaryPeter Jancsary und Falko E. P. Wilms

Problemlösungsprozesse initiieren

Vom Unsinn des Sender-Empfänger-Modells
Demonstriert am konkreten Beispiel "Evaluation der akademischen Lehre"

Peter Jancsary und Falko E. P. Wilms

Eine wirksame Evaluation beruht auf zeitnahen, direkten Gesprächen der Beteiligten, zumal die Verantwortung der Direktbeteiligten grundsätzlich nicht an andere Akteure delegiert werden kann.

Im letzten TrainerJournal [i] wurde gezeigt, warum das direkte Gespräch so gut wie nichts zu tun hat mit der Grundidee des Sender-Empfänger-Ansatzes und warum in einem direkten Gespräch niemals nur Informationen übertragen werden.

Das Evaluationskonzept

In dem hier beschriebenen konkreten Praxisfall wurde der Sender-Empfänger-Ansatz einem Evaluationskonzept für die akademische Lehre an einer Hochschule zugrunde gelegt. Das ausdrückliche Ziel war, die Qualität der Lehre strategisch durch eine anonyme Evaluierung jeder einzelnen Lehrveranstaltung durch die Studierenden kontinuierlich zu verbessern und zu optimieren.

Bewertungsmöglichkeiten durch die Studierenden nach dem österreichischen Notenschema (sehr gut, gut, befriedigend, schlecht, sehr schlecht). Die Ergebnisse der Bewertung werden in ein Ampelschema übertragen (Grün = Mittelwert < 2,5, Gelb = Mittelwert 2,5 – 3,5 und Handlungsbedarf, Rot = Mittelwert >3,5 und Handlungsbedarf). Bei der Bewertung sind nur geschlossene Fragen zugelassen, z. B.:

  • Wie schätzten Sie die Fachkompetenz des Vortragenden ein?
  • Sind die didaktischen Methoden angemessen und vielfältig?
  • Wie ist die ausreichende und fundierte theoretische Wissensvermittlung?
  • Wie ist der Bezug zur Praxis gegeben?

Die damit ausdrücklich verfolgten Zwecke sind: Die Hochschule im Wettbewerb um Studierende langfristig konkurrenzfähig zu halten, Studierenden beste Voraussetzungen für die Suche nach einer Arbeitsstelle zu vermitteln, den Lehrenden die faire Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Lehrqualität zu geben, sowie dem Arbeitsmarkt hervorragend geeignete Absolventinnen und Absolventen zur Verfügung zu stellen.

Nebeneffekt: Bei allen Lehrenden wird der administrative Aufwand durch einen automatisierten Prozess reduziert. Es erfolgt also das Versprechen, dass der technikunterstütze Prozess die Evaluation verein­fachen wird.

Analyse des Evaluationskonzepts

Grundsätzlich ist zu hinterfragen, inwiefern insbesondere hauptamtlich Studierende in der Lage sein können, die fachliche Kompetenz eines Vortragenden über ein unbekanntes Wissensgebiet, die Angemessenheit didaktischer Methoden zu bislang nicht reflektierten Themenstellungen, die theoretische Fundierung von bislang nicht bekanntem Wissens oder aber den Bezug zur bisher noch nicht erlebten Praxis erkennen, einordnen und bewerten zu können.

Ist es nicht eher eine Zumutung, von Studierenden ohne Hintergrundwissen eine begründete Bewertung zu verlangen? Oder läuft eine solche Abfrage mit geschlossenen Fragen darauf hinaus, die aktuelle oberflächliche Befindlichkeit über die leichte Konsumfähigkeit des Lehrangebotes zu ermitteln?

Weiterhin ist fraglich, ob die vielen Stake­holder (konkurrierende Hochschulen, arbeitsuchende Absolventen, lehrfähige Lehrende und Absolventen suchende Arbeitgeber) mit ihren konkurrierenden Interessenlagen (Studierende: Leichtes Studium, Arbeitgeber: streng ausgebildetes Personal) ohne eigene Repräsentanten als Direktbeteiligte in einem Evaluationsprozess beteiligt sein sollen.

Oder läuft die Anzahl verschiedener Interessenlagen nicht darauf hinaus, dass hochschulinterne Erwartungen bezüglich der Interessenlagen externer Akteure für eigene Argumentationen verwendet werden?

(DE-)Eskalationsstufen

In dem hier beschriebenen Evaluationskonzept auf der Grundlage des Sender-Empfänger-Ansatzes bespricht der Studiengangsleiter jedes Semester die Ergebnisse mit den Lehrenden ihres Studiengangs. Sollte sie bei einzelnen Lehrenden Handlungsbedarf erkennen, wird folgender Prozess angestoßen.

Im Falle einer wiederholten Unzufriedenheit seitens der Beteiligten (Studierende, Studiengansleiter, Abteilungsleiter) soll dieser Prozess der kontinuierlichen Ver­bes­ser­ung eine drohende Eskalation vermeiden.

Der Ablauf zur De-Eskalation ist in drei Phasen gegliedert:

  1. Bei Unzufriedenheit der Studierenden erfolgt ein Gespräch zwischen Studien­gangsleitung und Dozierenden.
  2. Bei Unzufriedenheit des Studiengangs­leiters erfolgt ein Gespräch zwischen Studiengangsleitung und Abteilungs­leitung (direkter Vorgesetzter des Dozierenden).
  3. Bei Unzufriedenheit der Abteilungsleiter erfolgt ein Gespräch zwischen Abteilungs­leiter und Rektor, anschließend kommt es zu einem Folgegespräch
zwischen Rektor, Dozierenden und Abteilungsleitung. Sollte dieses Gespräch nicht erfolgreich sein, kommt es zu einer Personalentscheidung.

Analyse der De-Eskalationsstufen

Es fällt auf, dass im Evaluationskonzept keinerlei Gespräch zwischen Lehrenden und Studierenden einer Lehrveranstaltung vorgesehen ist. Anstatt entstehende Irritationen zeitnah, konkret und zwischen den Direktbeteiligten zu klären (Weick nennt dies „sensemaking“[ii]) und entstandene Unzulänglichkeiten frühestmöglichst zu korrigieren, werden nötige Gespräche auf andere Akteure (und deren Verantwortlichkeiten) verlagert.

Erst zum Zeitpunkt der Evaluation, wenn also die entstandenen Unzulänglichkeiten viele Wirkungen ausgebreitet haben, wird ohne die beteiligten Studierenden (die anonym aufgrund eines kaum ausreichenden Hintergrundwissens eine Bewertung abgegeben haben) ein Gespräch zwischen dem nicht beteiligten Studiengangsleiter und dem Lehrenden angesetzt. Das kann - wenn über­haupt nur gelingen, wenn vorher die Studierenden ihre Kriterien und Beweggründe der Evaluation mit der Studiengangsleitung besprochen und verstanden haben.

Genau hier zeigt sich überdeutlich, dass von einem mechanischen Sender-Empfän­ger-Ansatz ausgegangen wird und Verstehen als 100%ig gelungene Informationsübertragung missverstanden wird.

Interessant ist auch, dass keinerlei Plattform eingerichtet wird, in der die Lehrenden ihre Unzufriedenheiten platzieren könnten. Kritische Erfolgsfaktoren der Lehrqualität an einer Hochschule wie Lernfähigkeiten der Studierenden, die Führungskompetenzen der Vorgesetzten, über die hochschulinternen Strukturen (z. B. Aufbauorganisation, Prüfungsmodi, Curricula, abendliche Lehrzeiten) werden somit methodisch aus dem Evaluationsprozess ausgeschlossen. Und das, obwohl zielgerichtete Änderungen von kritischen Erfolgsfaktoren eine maßgebliche Erhöhung des Zielerreichungsgrades bewirken.

Mit dem Fehlen der direkten Interaktion zwischen Dozenten und Studierenden einerseits und durch den Eintritt des Studiengangsleiters in den Prozess (Gespräch mit Dozierenden) beginnt zwangläufig das „Drama“[iii]: Die Direktbeteiligten werden aus der Verantwortung genommen.

Der Studiengangsleiter sieht sich als „Retter“ beider Parteien. De facto ist aber der Dozierende aufgrund der schlechten Evaluation der „Täter“ in Bezug auf die Studierenden. Folglich hat der Studiengangsleiter einen Handlungsbedarf in Bezug auf den Dozierenden (Erwartungshaltungshaltung der Studierenden). Daher ist der Studiengangsleiter in erster Linie ein „Retter“ für Studierende und ein „Täter“ in Bezug auf den Dozierenden. Aufgrund dessen, dass sich der Dozierende als „Opfer“ versteht (zwei „Täter“) verstärkt sich die Abwehrhaltung des Dozierenden.

Damit wird eine konstruktive Lösung weiter erschwert. Folglich wird der Studiengangsleiter latent unzufrieden. Im folgenden Gespräch mit dem Abteilungsleiter (direkter Vorgesetzte des Dozierenden) erwartet der Studiengangsleiter die Unterstützung des Abteilungsleiters und der Dozierende erwartet eine Unterstützung durch seinen Vorgesetzten. Das Spiel wiederholt sich.

Der Dozierende hat wiederum zwei „Täter“. Wenn hingegen der Abteilungsleiter den ihm zugeteilten Dozierenden unterstützt, macht er sich den Studiengangsleiter und die Studierenden zum Gegner in dem Spiel. Folglich wird der Abteilungsleiter in jedem Falle unzufrieden sein. Daher wird er ein Folgegespräch mit dem Rektor suchen. Das Problem wird auf eine weitere Ebene verschoben und zeitlich versetzt.

Ein Folgegespräch zwischen Rektor, Abteilungsleiter und Dozierenden soll die Lösung bringen. Im Beisein des Dozierenden kann es keine Lösung geben, weil das Spiel sich erneut wiederholt und der Dozierende nicht aus der Rolle des „Täters“ entlassen wird, sich zunehmend aber seinerseits „Tätern“ gegenüber sieht. Sollte der Dozierende in dieser Situation nicht zur Einsicht kommen (im Sinne seiner „Täterschaft“), kommt es in diesem Evaluationskonzept zu einer Personalentscheidung. Aber durch wen durchgeführt und von wem vor wem verantwortet (Vergrößerung der gegenseitigen Verstrickungen)?

Das Durchdenken dieser Situation mit dem „Dramadreieck“ zeigt deutlich auf, dass die Rollen aller Beteiligten ständig wechseln und zunehmend neue Dramadreiecke entstehen, je länger der Prozess fortgeführt wird (aus einem Lagerfeuer entwickelt sich ein Flächenbrand).

Fazit

Es ergibt sich: Mit diesen Prozess-Stufen kommt es statt zu einer Deeskalation viel eher zu einer dramatischen Eskalation. Das Verschieben der Interaktion zwischen den Direktbeteiligten (Dozierender und Studierende einer Lehrveranstaltung) auf zeitlich stark verzögerte Gespräche mit anderen, nicht beteiligten Akteuren bewirkt keinerlei Lösung und keinerlei Retter, sondern viele Opfer:

  • Die Studierenden haben Angst, bei all‘ zu offenem Feedback persönliche Nachteile zu erfahren. Durch die Anonymisierung können sie diese Angst überkompensieren, indem sie aufgrund überzogener Erwartungen zu negative Beurteilungen abgeben.
  • Die Dozierenden haben Angst, durch das anonyme Blitzlicht eine eher schlechte Beurteilung zu erfahren. Sie können diese Angst überkompensieren, indem sie aufgrund leichtfertiger Vergabe guter Noten oder intensiverer „Bespaßungsaktionen“ kurz vor dem Evaluationszeitpunkt die Notengebung der Studierenden besänftigen.

Im Sinne des dritten Axioms über zwischenmenschliche Kommunikation von Watzlawick[iv] (die Natur einer Kommunikationsbeziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Gesprächspartner bedingt) ergibt sich folgender Kreislauf:

Damit es nicht immer nur gute Benotungen im Feedback der Studierenden gibt, wird anonymisiert. Darauf folgt, dass die Dozierenden leichtfertig Noten vergeben, damit es gute Evaluationsbenotungen gibt. Jede Beteiligte Gruppe hat Erwartungen an die jeweils anderen, die jedoch nicht ausverhandelt werden können, weil ein direktes Gespräch verhindert wird.

Sender- und Empfänger-Modell zeigt sich als eine total künstliche und realitätsferne Idee

Die dem traditionellen Sender-Empfän­ger-Modells zugrunde liegende strikte Trennung von Sender und Empfänger zeigt sich hier als eine total künstliche und realitätsferne Idee, denn es wirken eigene Erwartungen und Erwartungen bezüglich der Erwartungen des Gegenübers. Sender und Empfänger gehören also immer zusammen und jede Trennung kann höchstens technisch, aber niemals sozial erfolgen.

Alles in allem zeigt dieses beispielhafte Evaluationskonzept, wie eine starre, anonymisierte, softwaregestützte Methode das Untersuchungsobjekt (Qualität der Lehre) derartig bestimmt, dass das zu Untersuchende fast vollkommen verborgen bleiben muss. Lernen wird verhindert und Anpassung an ein niedriges Niveau gefördert.

Was ist zu tun?

Vor dem hier beispielhaft gezeigten Hintergrund ergeben sich die folgenden Ansatzpunkte:

  • Grundsätzliche Förderung der direkten Interaktion und der direkten konkreten Begegnung der Prozessbeteiligten.
  • Unter allen Umständen auf ein zeitnahes Feedback achten.
  • Andauernde Pflege der direkten Kommunikation im Hause, um etwaige Ängste frühzeitig abzubauen.
  • Permanente Kommunikation über den Stand der Beziehungen zwischen den Prozessbeteiligten (hier: Studiengangs­leiter, Dozent und Studierende).
  • Bewusstes Schaffen einer guten Kommunikations-Kultur, verstanden als sinnvolle Investition in die akademische Lehre.
  • Überdenken des mechanistischen Menschenbildes und des darauf aufbauenden Sender-Empfänger-Modells.
  • Nur dort softwaregestützte Evaluationen durchführen, wo es um reine kognitive Inhalte geht.
  • Förderung von Schulungen in Bezug auf Kommunikation als ein Verstehen (hermeneutischer Zirkel, sozialer Kontext, …).
  • Anerkennen der Tatsache, dass Kommunikation grundsätzlich niemals eindeutig und trennscharf sein kann.
  • Statt verstärkter Digitalisierung lieber auf konkrete face-to-face-Kontakte setzen, um Kommunikationen gelingen zu lassen
  • Lehr/Lern-Arrangements ganz grundsätzlich darauf aufbauen, dass auch das akademische Lernen nur gelingen kann, wenn der Mensch als lebendiges Ganzes angesprochen und gefordert wird.

Anschlussfragen

Insbesondere die strikte Trennung zwischen Sender und Empfänger ist in keiner Weise anwendbar auf direkte zwischenmenschliche Gespräche. Darüber hinaus stellen sich in Bezug auf das Sender-Empfänger-Modell mindestens noch folgende Anschlussfragen:

  • Welche Funktionsweise, Aufbau und Bedeutung hat der Kommunikationskanal?
  • Welchen Sinn und welche Bedeutung hat die Kodierung und Dekodierung?
  • Wie wird der Unterschied zwischen Informationsübermittlung und Verstehen herausgestrichen?
  • Wie soll ein wirkliches Verstehen ohne ein Eintreten der Gesprächspartner in den hermeneutischen Zirkel möglich sein?
  • Inwieweit wird der soziale Kontext der Sprechenden als Voraussetzung für ein Verstehen anerkannt?
  • Wie wird berücksichtigt, dass Kommunikation niemals eindeutig sein kann, allein schon weil Sprache an sich unscharf ist und weil man niemals aus dem Kreis der Kommunikation heraustreten kann (Kommunikation wird vorausgesetzt, wenn man über Kommunikation nachdenkt/spricht).
  • Wie wird aufgezeigt, dass ein Nichtverstehen weitaus wahrscheinlicher ist als ein Verstehen?

Die Autoren

Dr. Peter M. Jancsary und Dr. Falko E. P. Wilms arbeiten als Trainer, Berater & Hochschul­lehrer zusammen in der Studiengruppe für Organisations-Entwicklung an der FH Vorarlberg in Dornbirn, Österreich.

peter.jancsary@fhv.at  | www.staff.fhv.at/jan

falko.wilms@fhv.at  | www.staff.fhv.at/wf


i Vgl.: Wilms, F. E. P.: Ein Gespräch hat weder Sender noch Empfänger, in: TrainerJournal 9/12, S. 25
ii Vgl.: Weick, K. E.: Sensemaking in Organizations, Sage 1995
iii Vgl.: Karpman, St.:(1968): Fairy tales and script drama analysis. Transactional Analysis Bulletin. 7 (26), S. 39-43; Berne, E.: Spiele der Erwachsenen, Reinbeck bei Hamburg 1967
iv Vgl.: Watzlawick, P./Beavin, J. H. / Jackson, D. D. : Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, 8., unver. Aufl., Bern S. 61
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