josef maiwald tj2014 Josef Maiwald

Besser(e) Entscheidungen treffen

Systemisches Konsensieren

von Josef Maiwald

Die Methode „Systemisches Konsensieren" oder einfach nur „Konsensieren" bzw. „SK" ist etwa genauso alt wie die Moderationsmethode, ebenso hilfreich und vielseitig, aber noch weitgehend unbekannt. Sie als Trainer und Coach haben damit die Gelegenheit, Ihren Teilnehmern ein Werkzeug mit hohem Neuheits- und Nutzwert zu bieten. Mögliche Einsatzbereiche sind Coaching, Führung, Projektmanagement, Strategieentwicklung, Mediation, schwierige Entscheidungssituationen und vieles mehr.

Das Systemische Konsensieren geht auf die Erkenntnis der beiden IT-Systemanalytiker Siegfried Schrotta und Erich Visotschnig zurück, dass in der üblichen Mehrheitsabstimmung zur Entscheidungsfindung ein gravierender Systemfehler steckt. Dieser systembedingte Fehler führt in Gruppen aller Art – von der Familie über die Wirtschaft bis hin zur Politik – zu unnötigen Konflikten, Dissens und allzu oft zu unbefriedigenden Lösungen.

Ausgehend von dieser Erkenntnis begann eine jahrelange Entwicklungsarbeit, aus der schließlich die Methode des Systemischen Konsensierens hervorging. Das Systemische Konsensieren ist ein strukturierter Prozess, in dem Lösungen erarbeitet werden, die möglichst nahe an den Konsens, also an eine Übereinstimmung herankommen.

Konsensieren – manchmal eine Sache von Sekunden

Im einfachsten Fall ist Konsensieren eine Sache von Sekunden. Ein Beispiel: Angenommen, in Ihrem Seminar ergibt sich eine inhaltlich interessante Diskussion, die allerdings den zeitlichen Rahmen zu sprengen droht. Zur Klärung der weiteren Vorgehensweise bietet sich die Einwandfrage an, die Sie sicherlich schon kennen: „Ich halte die Diskussion für sehr fruchtbar. Ich schlage daher vor, dass wir uns noch zehn Minuten dafür Zeit nehmen und die nachfolgenden Themen zeitlich etwas kürzen. Gibt es da­gegen Einwände?“

Mit dieser einfachen Frage haben Sie im Sinne des Konsensierens die Fragestellung benannt, einen Vorschlag gebracht und – für den Fall, dass sich niemand meldet – abgesichert, dass Ihr Vorschlag wirklich von allen im Raum mitgetragen wird.

Hätten Sie wie sonst üblich per Handzeichen abgestimmt, wer für Ihren Vorschlag ist, wüssten Sie auch bei einer klaren Mehrheit nicht, wie die restlichen Teilnehmer denken. Wurde die Hand von denjenigen mit Einwänden nicht gehoben, weil sich ohnehin eine deutliche Mehrheit abzeichnete oder gibt es gar ernsthafte Einwände, die nicht geäußert wurden, da sich diese Personen der Mehrheit beugen? Mit der Abfrage nach den Widerständen („Gibt es Einwände dagegen?“), können Sie diese Einwände / Widerstände sichtbar machen.

Ist diese extrem schnelle Art des Konsensierens nicht möglich oder führt sie nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, kommen die komplexeren Varianten des Konsensierens zur Anwendung.

Das wichtigste Prinzip: Bedenken kennen und möglichst kreativ nutzen

Bei Gruppenentscheidungen im beruflichen Alltag oder in der Politik geht es oft um die Bildung von Mehrheiten. Es ist gängige Praxis, dass wir möglichst viele Argumente für unsere Position und möglichst viele Gegenargumente für die Positionen der anderen suchen, um die Mehrheit für uns zu gewinnen.

Beim Konsensieren kommt dieses Lager­denken erst gar nicht auf. Der Ehrgeiz besteht nicht darin, sich gegenüber den Anderen durchzusetzen, sondern gemeinsam die beste Lösung für die Gruppe zu finden. Hierfür beleuchten wir die Fragestellung von zwei Seiten:

  1. Zunächst überlegen wir, welche Lösungen denkbar sind.
  2. Anschließend bewerten wir, wie stark die Ablehnung jedes Gruppenmitglieds gegen jeden einzelnen Vorschlag ist.
  3. Besser(e) Entscheidungen treffen.
  4. Systemisches Konsensieren.

In der Basisvariante erfolgt dies auf einer Skala von 0 bis 10 (0 = „ich habe keine Bedenken“, 10 = „ich lehne den Vorschlag total ab“, Zwischenwerte nach Gefühl).

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Abbildung 1: Ein Meinungsbild zu fünf möglichen Lösungen im Rahmen einer Investitionsentscheidung

Entscheidung mit nachvollziehbarer Logik und Intuition

Die Abbildung 1 zeigt das Ergebnis einer Investitionsentscheidung. Vorangegangen waren die Präsentationen von mehreren An­bietern. An der Entscheidung waren drei Geschäftsführer (GF1 - GF3) und eine Verwaltungskraft (VW) beteiligt. Die einzelnen Widerstandswerte wurden in einer Excel-Tabelle aufaddiert und der Mittelwert wurde gebildet.

Die Matrix zeigt, dass die Lösung A „Alles aus einer Hand“ deutlich gegenüber den anderen Lösungen favorisiert wird (geringster Widerstand bzw. höchste Akzeptanz). Außerdem zeigt sich, dass die letzten beiden Lösungen „Cloudlösung“ und „Optimierung nur durch Checklisten“ vehement abgelehnt werden. Bei so einem klaren Meinungsbild ist die fällige Entscheidung eine klare Sache.

Was ist der spezielle Nutzen des Konsensierens? Im vorliegenden Fall waren alle Beteiligten überrascht, wie klar das Ergebnis ausfiel. Die Unzufriedenheit mit der bisherigen Lösung (siehe E) war kaum noch zu übertreffen. Und es gab eine überzeugende, gut akzeptierte Lösung. Diese Klarheit war in der Diskussion überhaupt nicht deutlich geworden. Somit unterstützte das Konsensieren nicht nur bei der Entscheidungsfindung sondern erzeugte einen Motivationsschub, das Projekt mit vollem Elan anzugehen.

Reflektiert man den Entscheidungs­prozess auf der Metaebene, lässt sich festhalten:

  • In die persönliche Bewertung der Alter­nativen fließen sowohl harte Fakten als auch das intuitive Empfinden der Beteiligten ein.
  • Niemand muss sich vereinfachend auf ein Ja oder Nein reduzieren.
  • Jeder drückt stattdessen seine Meinung differenziert auf einer Skala (hier 0 bis 10) aus.

Anhand der Zahlen verschafft sich die Gruppe einen schnellen Überblick: Gibt es ein klares Ergebnis? Ist man sich in diesem Ergebnis weitgehend einig, oder gibt es einzelne Mitglieder, die gegen eine Entscheidung, die insgesamt gut abschneidet, hohe Bedenken haben.

Beim Konsensieren werden diese Bedenken nicht wie sonst oft nach dem Motto „Einzelschicksal, Pech gehabt“ ignoriert, sondern explizit aufgegriffen. Oft zeigt sich, dass die Bedenken daher rühren, dass Aspekte gesehen wurden, die die anderen schlicht übersehen haben oder dass ein Lösungsvorschlag missverständlich formuliert war. Nicht selten ergeben sich beim Konsensieren durch die gezielte Auseinandersetzung mit den Einwänden noch bessere, kreativere Lösungen oder Widerstände werden aufgelöst, die sonst die Umsetzung der Entscheidungen erschweren oder unmöglich machen würden.

Im Falle der Investitionsentscheidung hatte ich als Berater die Alternativen anhand der Vorgeschichte in einer Liste zusammengefasst. Diese Art des Konsensierens nennen wir „Auswahlkonsensieren“. Sie bietet sich beispielsweise an bei Investitions- und Personalentscheidungen oder wenn Expertengruppen alternative Vorschläge erarbeitet haben, die in eine Rangreihe gebracht werden sollen.

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Abbildung 2: Konsensieren als kreativer Prozess

Kreative Entscheidungsprozesse

Die volle Stärke entfaltet das Konsensieren, wenn Sie zu einer komplexen Fragestellung in einem mehrstufigen, kreativen Gruppenprozess Lösungen erarbeiten wollen.

Dieses Schema lässt sich je nach Situation und Fragestellung beliebig ausgestalten. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei dem Punkt „Übergeordnete Fragestellung“ zu. Je präziser und stimmiger die Frage formuliert ist, desto besser und tragfähiger sind die erarbeiteten Lösungen. Während der Lösungssuche haben die Beteiligten im Hinterkopf, dass es letztlich darum geht, Lösungsalternativen zu entwickeln, die gut von den anderen mitgetragen werden können. Im Meinungsbild werden wieder die einzelnen Vorschläge bewertet und in einer Matrix dargestellt. Die Gruppe trifft die Entscheidung anhand des Meinungsbildes. Das Ergebnis ergibt sich also in der Regel nicht formal über die Methode, sondern ist noch einmal eine explizite Gruppenentscheidung. Wenn die Gruppe nicht über die nötige Entscheidungskompetenz verfügt, geht das Ergebnis als „Kooperative Entscheidungsvorbereitung“ (KEV) an die Entscheider. Für diese hat das Vorgehen den Vorteil, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung wissen, welche Akzeptanz die einzelnen Lösungen in der Gruppe haben.

Beliebige Gruppengröße

Die „Gruppen“ können übrigens beliebig groß sein. Unter www.konsensieren.eu finden Sie ein Online-Tool, das den Gesamtprozess unterstützt und die Ergebnisse errechnet. Es wurde 2014 mit dem österreichischen Wirtschaftspreis „eAward“ in der Kategorie „Arbeit und Organisation“ aus­gezeichnet. Über dieses Tool wäre es grundsätzlich möglich, Volksentscheide oder demokratische Wahlen durchzuführen.

Individuelle Entscheidungen mit Hilfe des Inneren Teams

Das Systemische Konsensieren ist überall dort besonders hilfreich, wo es um Entscheidungen geht, die innovativ sein sollen oder die später zu Spannungen führen können. Das Konsensieren nutzt das Potenzial der Gruppe optimal und führt zu Lösungen, die möglichst nahe an den Konsens heran­kommen.

Auch Entscheidungen, die wir als Individuum treffen müssen, sind ähnlich gelagert. Nach Schulz von Thun ist der innere Kampf der Motive ja ein menschliches Wesensmerkmal. Nutzen Sie die Stimmen oder Persönlichkeitsanteile Ihres Inneren Teams, können Sie auch mit diesem wie mit jeder anderen Gruppe konsensieren.

Ausbildungsmöglichkeiten

In diesem Artikel möchte ich Ihnen ein paar Grundlagen des Systemischen Konsen­sierens vermitteln und eine Vorahnung wecken, welche Schätze Sie mit der Methode heben können.

Zur professionellen und sicheren Anwendung benötigen Sie aber weit mehr Wissen. Deshalb bilden wir Führungskräfte, Trainer, Coaches und Mediatoren zu SK-Moderatoren aus. In drei Workshop-Modulen, die insgesamt 5 Tagen dauern, lernen die Teilnehmer die Methode in allen Facetten kennen.

Die Erfahrung zeigt, dass Konsensieren auf den ersten Blick einfach erscheint, dass es aber viele Feinheiten und Fallstricke gibt und dass daher eine fundierte Ausbildung sinnvoll ist. Auch nach dieser Ausbildung lassen wir Sie nicht im Stich; wir bieten Super­vision und Treffen zum Erfahrungsaustausch an.

In Kooperation mit dem Trainertreffen Deutschland werden wir einen eintägigen Basisworkshop für Interessierte anbieten, der auf die Ausbildung angerechnet werden kann.

Sie haben Fragen oder sind am Thema interessiert? Dann wenden sie sich gerne an mich.

Literatur-Empfehlungen

Weitere Beispiele und methodische Erläuterungen finden Sie in folgenden empfehlens­werten Fachbüchern zum Thema.

  • Josef Maiwald:
    Smart entscheiden!
    Methoden und Strategien, die Sie vor­anbringen * privat * beruflich * gesellschaftlich;
    ISBN 978-3-934051-09-6
    (in Kürze auch als E-Book)
  • Siegfried Schrotta:
    Wie wir klüger entscheiden
    Einfach – schnell – konfliktlösend; 2011
    ISBN 978-3-901921-44-5
    (auch als E-Book)

Weitere Informationen zum Thema

Der Autor:

josef maiwald tj2014Josef Maiwald ist Dipl.-Psychologe und Spezialist für Personalentwicklung, Talentmanagement, Betriebliches Gesund­heitsmanagement sowie Systemisches Kon­sensieren. Seit über 25 Jahren ist er in der Personal- und Führungskräfteentwicklung für internationale Konzerne, mittelständische Unternehmen sowie öffentliche Verwaltungen tätig. Er ist Begründer des Experten-Netzwerks SmarterLife und seit 2011 Ausbilder und Vorstandsmitglied im Institut für Systemisches Konsensieren, IsyKonsens Deutschland.

Josef Maiwald
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