josef maiwald tj2014 Josef Maiwald

Systemisches Konsensieren

Knifflige Entscheidungen im Seminar transparent und nachvollziehbar lösen

von Josef Maiwald

Als Trainer sehe ich es als meine Aufgabe, eine gute Balance zwischen zwei Polen hinzubekommen: Einerseits bin ich Experte und die Teilnehmenden dürfen erwarten, dass ich weiß, was die wichtigsten inhaltlichen Knackpunkte sind und wie wir methodisch vorgehen. Andererseits gilt es, bedarfsgerecht und teilnehmerorientiert vorzugehen und wesentliche Entscheidungen der Gruppe zu überlassen. Wie aber bekomme ich es bei Gruppenentscheidungen hin, dass alle Personen gleichwertig einbezogen werden und nicht einzelne Wortführer die Richtung zu stark beeinflussen?

Im Folgenden möchte ich auf eine typische Trainingssituation eingehen und kurz erläutern, warum sie mittels Systemischem Konsensieren (SK) besonders harmonisch, transparent und nachvollziehbar gelöst werden kann.

Grundhaltung und Vorgehensweise im Rahmen des SK

Bevor ich ein konkretes Fallbeispiel vorstelle, möchte ich kurz auf die Grundhaltung und die daraus resultierende grundsätzliche Vorgehensweise eingehen: Beim SK werden Bedenken und Widerstände ernstgenommen, meist sogar explizit erfragt und möglichst kreativ genutzt. Die methodische Herangehensweise kann je nach Situation und Fragestellung sehr unterschiedlich sein. Oft ist sie subtil und unspektakulär. Oft entsteht ein fruchtbarer kreativer Prozess, der zu ganz neuen, überraschenden Lösungen führt.

Die wiederholte Anwendung von SK in einer Gruppe führt zu einem Paradigmenwechsel – weg vom Willen sich durchzusetzen, hin zum achtsamen Umgang miteinander, zur kreativen Erarbeitung von Optionen und zur Konsensentscheidung für die Alternative, die in der Gruppe die größte Akzeptanz findet. SK stärkt damit den Teamgeist und fördert dadurch eine kooperative Besprechungs-, Entscheidungs- und Unternehmenskultur.

Im (Seminar-) Alltag beliebte Methoden, wie eine schnelle Abstimmung oder das Punkten, setze ich übrigens in Gruppen, die SK frisch lernen, gar nicht mehr ein. Mehrheitsabstimmungen verleiten zum Taktieren und zur Koalitionsbildung und stützen damit das althergebrachte Verhalten, das so viele Probleme nach sich zieht, den Willen sich Durchsetzung.

Gehe ich nach SK vor, vollziehe ich mal mehr und mal weniger explizit die folgenden Schritte: Was ist die Fragestellung? Welche Lösungsoptionen haben wir? Wie bewertet jeder in der Gruppe die Lösungsoptionen (gemessen in Widerständen)? Welche Schlüsse ziehen wir aus dem gewonnenen Meinungsbild?

Dies kann heißen, dass ich einen Vorschlag unterbreite und nur die sogenannte Einwandfrage stelle: „Ich schlage vor, dass wir das Thema damit abschließen. Gibt es dagegen Einwände?“. Die Betonung der Frage sollte so sein, dass sie als Einladung verstanden wird, sich zu Wort zu melden, wenn man nicht einverstanden ist oder mental noch nicht so weit ist. Varianten der Einwandfrage sind „Ich schlage vor, wir wenden uns dem Thema XY zu. Spricht etwas dagegen?“. Beim „impliziten Konsensieren“ unterbreite ich einen Vorschlag und achte auf die nonverbalen Zeichen (Stirnrunzeln, fragende Blicke, …) der Teilnehmenden. Kommen keine, mache ich weiter.

Bieten sich mehrere Optionen an, empfiehlt es sich, die gefundenen Lösungen zu notieren und jeden Vorschlag durch alle Teilnehmenden bewerten zu lassen. Ich nutze vorwiegend die Skala von 0 bis 10. Dabei gilt: 0 = „es spricht nichts dagegen“, 10 = „maximaler Widerstand, kommt für mich nicht in Frage“, die Zwischenwerte erlauben eine beliebige Abstufung.

Beim SK geht es also immer um Vorschläge zu einer konkreten Fragestellung und – quasi als Gegenprobe – dem Erfragen von möglichen Bedenken, Zweifeln oder gar handfestem Konfliktpotential. Und: Bedenken sehe ich nicht als „lästiges Übel“, sondern als Chance, Schwächen der angedachten Alternativen zu erkennen, um dadurch noch bessere Lösungen zu entwickeln.

SK im Seminar

Wie die klassische Moderationsmethode, basiert SK zu einem sehr erheblichen Teil auf der Grundhaltung. Wenn ich als Trainer z.B. durch die Einwandfrage immer wieder ermutige, auf die eigenen Anliegen und die der Mit-Teilnehmenden zu achten, maximiere ich die Chance, dass sich jeder grundsätzlich eingebunden fühlt bzw. dass er sich äußert, sollte dies nicht der Fall sein. Darüber hinaus gibt es in Seminaren immer wieder Situationen, in denen Entscheidungen der Teilnehmenden sinnvoll sind.

Beispiel: Zu viele Themen

Eines meiner Seminarthemen ist die Gesundheitsorientierte (Selbst-) Führung. Hier stellt sich immer wieder die Herausforderung, dass das Thema einerseits sehr weit gefächert ist und daher nie alle interessanten Themen besprochen werden können. Andererseits sind die Vorkenntnisse der Teilnehmenden sehr heterogen. Anstatt die Teilnehmenden über das übliche Punkten die Schwerpunkte setzen zu lassen, nutze ich lieber das SK.

Die folgende Abbildung zeigt das Zwischenergebnis einer solchen Abfrage, die aus folgenden Schritten besteht: 1. Auflistung der (optionalen) Themen, 2. Abfragen der Bedenken: „Wie hoch sind meine Einwände, dass Thema A, B, C usw. im Seminar vorrangig bearbeitet wird?“. In dem Fall haben alle Teilnehmenden auf eine Moderationskarte ihren Namen, untereinander die Buchstaben von A bis O und jeweils daneben ihre jeweilige Bewertung geschrieben. Die nachfolgende Pause habe ich genutzt, um die Werte in eine vorbereitete Excel-Tabelle zu übertragen.

 

Schritt 3. Festlegen der weiteren Themenfolge, erfolgt in Abstimmung mit den Teilnehmenden.

Über das bewährte Punkten wäre vermutlich eine ähnliche Rangfolge entstanden. Durch das SK-Meinungsbild erhalte ich jedoch wesentliche Zusatzinformationen: Nahezu alle in der Gruppe legen Wert auf grundlegende Informationen (Stress-Modell, Reaktionsmuster und Resilienz). Übungen zur Entspannung und auch Belebung wie Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung und Qi Gong haben von einem erheblichen Teil der Gruppe hohe Widerstandswerte erhalten. Hier ist interessant, wer in der Gruppe die Methoden ohnehin hinlänglich kennt und daher nicht behandeln möchte und wer grundsätzliche Vorbehalte hat. Dem Thema „Etablieren von Maßnahmen“ räumen die meisten eine hohe Präferenz ein. Wenn das Thema behandelt wird wäre es aber auch wichtig, vor allem TN6 aber auch TN8 mitzunehmen. Im vorliegenden Fall haben jedoch beide sofort eingeräumt: „Ich habe es anders bewertet –aber angesichts der Urteile der Kollegen sollten wird auf das Thema auf jeden Fall eingehen.“

josef maiwald 170615 
Abbildung: Priorisierung von Themen (beschnitten)*

Fazit

Durch SK kann ich als Trainer besser einschätzen, wo die die Präferenzen der Teilnehmenden liegen. Anstatt ein Thema aufzugreifen und ggf. nur zu hoffen, dass sich skeptische Teilnehmende nach und nach für ein Thema erwärmen, kann ich Bedenken im Vorfeld berücksichtigen und mögliche Missverständnisse, falsche Vorstellungen von einem Thema usw. pro-aktiv aufgreifen und ausräumen. Der ermittelte Rang (siehe rechte Spalte) wird allerdings nicht unbedingt die Reihenfolge der Bearbeitung sein. Themen, die systematisch aufeinander aufbauen behandle ich natürlich nacheinander. In der Ausführlichkeit kann ich jedoch auf die Teilnehmerpräferenzen eingehen.

Der Autor: Josef Maiwald

Josef Maiwald ist Dipl. Psychologe und Spezialist für Personalentwicklung, Talentmanagement, Betriebliches Gesundheitsmanagement sowie Systemisches Konsensieren. Seit über 25 Jahren ist er in der Personal- und Führungskräfteentwicklung für internationale Konzerne, mittelständische Unternehmen sowie öffentliche Verwaltungen tätig. Er ist Begründer des Experten-Netzwerks SmarterLife und seit 2011 Ausbilder und Vorstandsmitglied im Institut für Systemisches Konsensieren, IsyKonsens Deutschland.

Kontakt:
Josef Maiwald
A-BiS Gesellschaft für Unternehmensentwicklung mbH
Zeheterstr. 11, 83607 Holzkirchen
Tel.: 08024 – 4 77 44 57, entscheiden@smarterlife.de
www.a-bis.de , www.smarterlife.de , www.smarterlife-verlag.de 

* Die vollständige Beispieltabelle finden Sie innerhalb der nachfolgend angebotenen Excel-Tabelle.


Informationen zum Thema und eine sehr nützliche Excel Tabelle

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