Meiner Meinung nach...

Gedanken zur PISA-Studie 2012 – Sind wir wirklich „über-durchschnittlich?“

von Katrin Seifert

Die Republik jubelt: Wir haben es geschafft! Erstmalig liegen wir mit den PISA-Testergebnissen bei 15jährigen Schülern über dem OECD-Durchschnitt! Das Programme for International Student Assessment (PISA) ist die internationale Schulleistungsstudie der OECD. PISA untersucht, inwieweit Schülerinnen und Schüler gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben, die es ihnen ermöglichen, an der Wissensgesellschaft teilzuhaben. Schwerpunkt der jüngsten Erhebung ist Mathematik.

Es wird Zeit, meinte Frau Prof. Dr. Ischinger, Direktorin für Bildung bei der OECD, aufzuhören, vom „PISA-Schock“ zu reden. Besser sei es, jetzt die PISA-Fortschritte herauszustellen. Auch wenn unsere Schüler (m/w) nicht riesen Sprünge gemacht haben, so kann Deutschland von einem kontinuierlichen Fortschritt der kleinen Schritte berichten. „Steter Tropfen höhlt den Stein.“

Top-Ergebnisse – Wir können stolz sein

Fakt ist:

  • „Deutschland, Mexiko und die Türkei sind die einzigen Länder, in denen sich seit 2003 die Mathematikergebnisse und die Chancengerechtigkeit in der Bildung gleichermaßen verbessert haben.
  • …Die Verbesserungen lassen sich in Deutschland vor allem auf Leistungssteigerungen unter leistungsschwächeren und sozioökonomisch benachteiligten Schülern zurückführen.
  • Deutschland liegt mit seinen Ergebnissen in den Bereichen Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften über dem OECD-Durchschnitt.
  • Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in Bezug zur Mathematik sind in Deutschland größer als im OECD-Durchschnitt. Selbst da, wo Jungen und Mädchen gleich gut abschneiden, ist die Einstellung der Mädchen zum Lösen von Aufgaben schlechter, ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Motivation zum Mathematiklernen, die Ausdauer und die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten, den Lernerfolg zu steuern, geringer und die Angst vor Mathematik insgesamt verbreiteter als bei Jungen.
  • Während das Zugehörigkeitsgefühl der Schüler (m/w) zu ihrer Schule zwischen 2003 und 2012 insgesamt etwas abgenommen hat, war dies in Deutschland nicht festzustellen: Der Anteil der Schüler, die eigenen Angaben zufolge den Eindruck haben, von anderen Schülern gemocht zu werden, ist um gut 20 Prozentpunkte von 70% auf über 90% gestiegen.
  • Deutschland hat einen der höchsten Anteile an Sitzenbleibern im OECD-Raum.“ (Quelle: Pressemitteilung der OECD)

Ich möchte an dieser Stelle nicht die einzelnen Zahlen wiedergeben, denn diese sind Sekunden nach der Bundespressekonferenz schon im Äther gewesen und in allen einschlägigen Tageszeitungen nachzulesen, sondern eher weitere Gedanken oder auch Fragen zur Jubelstimmung beisteuern.

Prof. Dr. Manfred Prenzel, Leiter der aktuellen PISA-Studie in Deutschland betonte, dass die Schüler sich in ihren Schulen gut aufgehoben fühlen. Sie haben inzwischen ein Selbstkonzept für Mathe gefunden und trauen sich etwas zu. Die Schüler haben sich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung weiter stabilisiert. Es sei wichtig, meinte er, sich dabei nicht nur die kognitiven, sondern auch die motivationalen Ergebnisse anzugucken.

Der Fluch der Geschlechtertrennung


Foto: Katrin Seifert: Bundespressekonferenz zur PISA-Studie 2012Doch warum, frage ich mich, schneiden die Mädchen in Mathe so schlecht ab? Die Bundesministerin für Bildung und Forschung Frau Prof. Dr. Johanna Wanka meinte dazu, dass es bisher noch keine Begründung gibt, warum sich Mädchen als wenig begabter halten als ihre Leistung eigentlich wirklich ist.

Ich meine: Es gibt Begründungen, die auf der Hand liegen. Auch zu meiner Zeit quälten sich Schülerinnen mit Mathe. Doch mit keinem Augenblick dachten sie daran, dass das ja normal sei, weil sie Mädchen sind. Niemand sagte uns damals: Ach, Mädchen können das nicht! Mädchen sind mehr fürs Musische, Künstlerische… Aber wenn wir Mädchen/Frauen tatsächlich „die Künstlerinnen“ in der Gesellschaft sein sollten – warum gibt es dann kaum berühmte Künstlerinnen? Ganz klar, weil auch in dieser (Kunst-)Geschichte systematisch die Männer protegiert wurden und die Frauen abserviert.

Auch in unseren heutigen Schulen habe ich den Eindruck, dass Lehrer (m/w) unbewusst bewusst gläserne Decken einziehen: Jungs sind so – Mädchen sind anders. Hören wir doch auf damit! Jungs dürfen raufen, kämpfen, siegen – und Mädchen? Vielleicht sollten wir in der Schule weniger Sieg, mehr Gemeinsamkeit betonen, sich gemeinsam über Leistungen aller freuen, ohne auf Schmusekurs zu gehen? Warum und wie haben wir es in unserer Gesellschaft geschafft, dass Mädchen „Angst vor Mathematik haben“? Hier sind die Lehrer und die Eltern gefragt. In meiner Schulzeit lernten Mädchen noch mit Hammer, Feile, Säge und Bohrmaschine umzugehen. Die Jungs lernten wie die Mädchen das Nähen, Sticken, Bügeln. Unmännlich? Unsinn! Wo bleibt hier der moderne Mann?

Als ich letztens ein Trainertreffen durchführte, bei dem mein Mann mir ganz selbstverständlich wieder viele Aufgaben im Hintergrund abnahm, trat eine Teilnehmerin, eine „moderne Trainerin“, an mich heran: Ist das dein Mann, der da hilft? – Ja, klar! – Oh, ich dachte, die sind ausgestorben!... – Oh, Mann, dachte ich da nur, wo leben wir denn?! Was ist mit unserem Selbstbewusstsein als Frau, emanzipiertes Mitglied einer Gesellschaft passiert?

Passender Weise schätzten dafür die Jungen in der PISA-Studie ihre Leistungen höher ein, als sie wirklich waren…

Die Lehrer sind gefragt – und wir Trainer auch


Foto: Katrin Seifert: Straßenschild in Berlin - auf dem Weg zur BundespressekonferenzEine Erkenntnis der PISA-Studie ist, dass die Schüler sich im Mathematikunterricht (aber nicht nur da) eine bessere pädagogische Arbeit wünschen. Es wurde herausgearbeitet, dass die Schulzeit eine „goldene Zeit“ für die Kinder sei. Sie ist die wichtigste Zeit für die Persönlichkeitsentwicklung. Prof. Ischinger betonte, dass die Zeit, die Schüler mit dem Lehrer im Unterricht verbringen, viel wichtiger sei, als die Zeit, die sie mit Hausaufgaben verbringen. Deshalb sollten Ganztagsschulen stärker gefördert werden. Deswegen will die Bundesregierung auch eine Qualitätsoffensive Lehrerbildung mit 500 Mio € unterstützen. Hier könnten wir Trainer also mit wirken, bei der Stärkung der Lehrer durch Coaching wie auch durch Methodenkompetenz, die Auffrischung und ggf. Aktivierung braucht.  Prof. Prenzel betont: Die Lehrer sollen mehr Zeit für die Schüler haben, dann verbessert sich auch das Klima an der Schule. Diese Erkenntnis bedeutet einen Bewusstseinswandel, bei dem auch die Trainer, die sich in der Lehrerweiterbildung engagieren, gefragt sind.

Die Schwachen stärken – die Starken auch - doch wo bleibt die Mitte?

Aber auch bei der Stärkung der Schwächeren können wir uns mit unserem Know how als Coachs und Trainer einbringen. Denn jeder 5. Schüler im PISA-Test hat eine Klasse wiederholt! Das Coachen, Fördern muss also früh beginnen, meinte Prof. Prenzel. Um das Sitzenbleiben zu verhindern hilft nicht, die Klassenstärke zu verringern, sondern es hilft nur, die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Es geht also um gehirngerechtes Lehren und Lernen, Basis-Know-how eines jeden Trainers. Und Trainer könnten in der Lehrerausbildung das Coachen vermitteln.

Die Schere zwischen dem sozialen Hintergrund und den Leistungen ist immer noch da. Aber zum Glück ist sie ein wenig mehr zusammen gegangen. Hier wird weiter dran gearbeitet, die Bildungszugänge sollen noch durchlässiger werden.

Aber auch die Besten sollen weiter Förderung bekommen. Es wird gerade über weitere Begleitunterstützung in der Zukunft diskutiert. Doch ich denke da nur an die Exzellenz-Förderung der Hochschulen: Nach einem Hoch in den Leistungen und Zugängen hat sich nun alles wieder auf dem vorherigen Niveau stabilisiert.

Mein Ansatz wäre: Stärkung der Mitte, denn über die wird gar nicht geredet.

Weitere Infos sind unter www.oecd.org/de/pisa zu finden

 

Über die Autorin:
Dipl.-Soz. Katrin Seifert, kimages Training+Beratung
macht sich immer schon Gedanken um die Gesellschaft. Als Mutter hat sie sich ehrenamtlich als Elternsprecherin engagiert. Seit 7 Jahren arbeitet sie ehrenamtlich als Seelsorgerin für Kinder und Jugendliche. Erfahrungen daraus bringt sie in ihre Arbeit als Trainerin und Coach ein.

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