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Diversity Management: Nutzen Sie die Ressource Vielfalt (Diversity) 

Annelie Tattenberg

Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel. Deutschland ist ein Einwanderungsland – nicht erst seit 2015. Wie zu den Zeiten als man Gastarbeiter anwarb, fehlt es (auch heute) wieder an Arbeitskräften. In manchen Branchen (z.B. in Pflegeberufen) findet man immer häufiger MitarbeiterInnen aus dem osteuropäischen oder sogar asiatischen Raum. Auch die Themen Inklusion, sexuelle Orientierung, alternde Gesellschaft und Gender gewinnen zusehends an Bedeutung. Zudem wird z.B. diskutiert, ob eine Quote zur Parität von Männern und Frauen in Vorständen und im Bundestag führen kann und ob Redaktionen in den Medien die gesellschaftliche Vielfalt abbilden. Alles Themen, die den bewussteren Umgang mit dem Thema „Vielfalt“ (Diversity) in unserer Gesellschaft notwendig machen. Was bedeutet das für Weiterbildner?

Der „Thomas-Kreislauf“ in deutschen Unternehmensvorständen

Trotz aller Bemühungen scheint in Bezug auf die Chancengleichheit von Männern und Frauen in der Arbeitswelt wenig geschehen zu sein. Vielleicht haben Sie von dem „Thomas-Kreislauf“ in deutschen Unternehmensvorständen gehört. Laut dem Allbright Bericht aus September 2018 sind die Vorstände der 160 deutschen Börsenunternehmen mit 641 Männern und 56 Frauen besetzt. Der Männeranteil beträgt damit 92%. „Thomas“ ist im September 2018 der häufigste Name in den Börsenvorständen - und es gibt mehr Thomasse und Michaels (60) als Frauen insgesamt (56).

Gefördert wird, wer dem Chef ähnelt

Wie gehen wir mit dem Thema „Unterschiedlichkeit“ um? Studien belegen, dass Vorgesetzte diejenigen fördern, die ihnen ähnlich sind: weiß, männlich, ähnliche Ausbildung, ähnlicher Hintergrund. Sogar jene, die den gleichen Namen haben. Einen ähnlichen Kreislauf gibt es übrigens in den mächtigsten Positionen der Bundesverwaltung. Dort sind es Männer namens Hans.

Monokulturen sind allerdings nur bei konstanten Bedingungen effizient. Sie sind wenig anpassungsfähig. Die fehlende Diversität (zu wenig Frauen, fehlende Inklusion, gleiche Altersstruktur,...) ist zwar bequem, schafft aber eine ungesunde Homogenität und führt zu einseitigen Sichtweisen. Allerdings wird langfristig nur derjenige erfolgreich sein, der sich an die veränderten Bedingungen unserer sich stetig verändernden Welt anpassen kann.

Verständnis für andere Herangehensweisen entwickeln

Wenn Sie als Trainer, Berater oder Coach mit Vielfalt zu tun haben, können Sie verschiedene „Werkzeuge“ einsetzen. Für die Arbeit mit Führungskräften eignet sich z.B. das Riemann-Thomann-Modell, durch das menschliche Unterschiede und ihre Auswirkungen auf Kommunikation und Beziehungen verständlicher werden. Dies ist ein von mir häufig eingesetztes Modell, um z.B. in interkulturellen Managementtrainings Unterschiede innerhalb von Beziehungen zu beschreiben. Das Modell analysiert die Persönlichkeit in zwei Dimensionen – Nähe/Distanz und Dauer/Wechsel. Ich setze es gerne als „Konflikt-Klärungs-Helfer“ ein.

Stereotypisierungen durch Vereinfachungen

In unserer Arbeitswelt werden wir Tag für Tag mit dem Thema „Vielfalt“ konfrontiert. Sei es nun, dass wir als TrainerInnen und BeraterInnen ein Team auf eine neue Aufgabe vorbereiten, Verkaufstrainings durchführen oder dass wir bei unserer Arbeit feststellen, dass eine scheinbar homogene Gruppe doch nicht so homogen ist, wie von uns angenommen. Nicht selten kommt es auf Grund von Unterschieden in der Denk-, Kommunikations- und Handlungsweise zu Konflikten. Wie aber mit diesen Unterschiedlichkeiten umgehen und diese als Ressource nutzen?

Es gibt unterschiedliche Ansätze, sich dem Thema „Vielfalt“ zu nähern. Es gibt SpezialistInnen für die unterschiedlichsten Bereiche, in denen Menschen sich unterscheiden (z.B. Gender, alternde Gesellschaft, Handicap). Die Konzentration auf nur einen Teilaspekt von Vielfalt, ohne kritische Betrachtung der Perspektive, die man einnimmt, und unter Berücksichtigung möglicher Abweichungen, birgt die Gefahr, dass Stereotype wie „typisch Frau“ oder „typisch Mann“ entstehen. Auch wird nicht berücksichtigt, dass auch andere Faktoren eine Rolle spielen können.

So beeinflussen die kulturellen Prägungen (z.B. Einzelkind), die Person (z.B. schüchtern) und die äußere Situation (z.B. stressiger Tag) das Geschehen. Auf Basis des KPS Modells (Kultur, Person, Situation) können angemessene Strategien für mögliche kritische Situationen entwickelt und konkrete Handlungsoptionen umgesetzt werden.

Diversity Management berücksichtigt viele Perspektiven

In Seminaren und Trainings findet man immer TeilnehmerInnen verschiedener Geschlechter unterschiedlicher Altersgruppen mit diversen sozialen Hintergründen und aus vielen Ländern, was ein nicht zu unterschätzendes Potential für Missverständnisse untereinander bietet.

Orientiert man sich in seiner Arbeit an dem vierstufigen Modell von Gardenswartz und Rowe: „4 Layers of Diversity“, so lassen sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Menschen einer Organisation sehr gut erfassen. Mit dem Modell werden unterschiedliche Faktoren/Dimensionen greifbarer. Es konzentriert sich auf die 3 Dimensionen, die am engsten mit der Persönlichkeit verbunden sind:

  • Innere Dimension: z.B. ethnische Zugehörigkeit, Religion und Weltanschauung, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, physische Fähigkeiten.
  • Äußere Dimension: z.B. Elternschaft, Familienstand, Einkommen, Ausbildung, Berufserfahrung.
  • Organisatorische Dimension: z.B. Managementstatus, Funktion/Einstufung, Arbeitsinhalte/-feld, Dauer der Zugehörigkeit, Gewerkschaftszugehörigkeit.

Fokussierung auf Unterschiede

Auch wenn im interkulturellen Kontext Reibungsverluste auftreten können, wenn verschiedene kulturelle Prägungen aufeinanderprallen, so erweckt die Reduzierung auf Unterschiede den Eindruck, es gäbe keine Gemeinsamkeiten.

Die wiederkehrende Betonung von Unterschieden birgt die Gefahr, dass Stereotype entstehen bzw. verstärkt werden (Schubladendenken). Diese Vereinfachungen können dazu führen, dass man Menschen verschiedenen Gruppen (kollektive Identitäten, z.B. Manager) zuordnet und man die Individualität des Einzelnen gar nicht mehr wahrnimmt. Im Extremfall kann es dazu führen, dass in den Kategorien „wir“ und „die anderen“ gedacht wird, was exklusiv und nicht inklusiv ist und zur Folge hat, dass den Unterschieden sehr viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als den Gemeinsamkeiten. Die mangelnde Wertschätzung der Gemeinsamkeiten verstärkt den Eindruck, es gäbe sie nicht oder die Unterschiede seien unüberbrückbar.

Um zu vermeiden, dass Stereotype entstehen bzw. gefestigt werden, bedarf es in einem diversen Umfeld interkultureller Sensibilität und der Fähigkeit zur Reflexion.  Sehr wichtig wäre also interkulturelle Kompetenz (die Fähigkeit mit Unterschieden umgehen zu können) sowie das Wissen, dass das Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind, unsere Erfahrungen und Werte, unsere Wahrnehmung und unser Denken und Handeln (unsere „kulturelle Brille“) beeinflussen.

Unsere eigene kulturelle Brille

Wie durch eine Brille – die ja auch individuell angepasst wird – nehmen wir die Welt wahr. Allerdings ist uns bei der „kulturellen Brille“ oft nicht bewusst, dass es sie gibt und wie diese genau aussieht. Dabei könnte es helfen, ein Verständnis für andere Sichtweisen zu entwickeln, wenn man sich der Tatsache bewusst wäre, dass der andere Mensch uns gegenüber auch eine eigene „kulturelle Brille“ hat, die seine Wahrnehmung beeinflusst.

Die BrillenträgerInnen unter Ihnen werden wissen, dass man in den seltensten Fällen durch die Brille einer/s anderen genauso sieht, wie durch die eigene. So verhält es sich auch mit unserer eigenen „kulturellen Brille“. Die Reflexion über die eigene „kulturelle Brille“ ist ein wichtiger Bestandteil beim Erlangen von interkultureller Kompetenz und hat positiven Einfluss auf die Reflektionsfähigkeit, die Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln sowie auf die Fähigkeit sensibel zu handeln.

In meinen Trainings nutze ich ein von mir selbst entwickeltes Tool, bei dem ich das Vermitteln von kulturellen Unterschieden (z.B. in der Kommunikation) mit einer Aufstellung verbinde. Die Selbsteinschätzung der TeilnehmerInnen hat bei Team-Trainings schon für die eine oder andere Diskussion darüber gesorgt, ob Selbst- und Fremdeinschätzung übereinstimmen. Durch das von mir entwickelte Tool, wird interkulturelles Wissen vermittelt. Es regt an, über eigene kulturelle Muster (die eigene „kulturelle Brille“) nachzudenken und zeigt auf, wie eine auf den Menschen gegenüber angepasste Kommunikation aussehen könnte.

Wert oder Wertung

In der Entwicklung interkultureller Kompetenzen kommt dem Thema „Werte“ eine besondere Bedeutung zu. Die Reflexion über Werte ist in einem diversen Umfeld wichtig. Treffen z.B. in einem Team Menschen aufeinander, deren Werte sich stark unterscheiden, kann es leicht geschehen, dass das Verhalten der einen Person (Diskussionsfreude) von der anderen negativ (als streitsüchtig) interpretiert wird. Unbewusst kommt es zu Wertungen, die sich auf die Beziehungen untereinander und die Atmosphäre im Team auswirken und zu Konflikten führen können. In meiner Arbeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass gerade hier sehr viele Fallstricke verborgen sind.

Um den Unterschied zwischen Wert und Wertung zu verdeutlichen, helfen z.B. Übungen zum Werte- und Entwicklungsquadrat von Friedemann Schulz von Thun.

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Quelle: Schultz von Thun Institut

Wettbewerbsvorteil  durch „Vielfalt“

Der Schlüssel, um eine nachhaltige Veränderung bei dem Thema „Vielfalt“ einzuleiten und Vielfalt als Ressource nutzen zu können, liegt also bei einem selbst und den eigenen Soft Skills. Denken Sie an die Beispiele des „Thomas-“ oder des „Hans-Kreislaufes“ oder an die Herausforderungen, die die Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt.

Dienstleister, Institutionen und Unternehmen, die sich mit dem Thema „Vielfalt“ befassen, sind eindeutig im Vorteil, zum Beispiel beim Kampf um die immer rarer werdenden Fachkräfte und beim Umgang mit der Diversität ihrer Mitarbeiter. Sie sind gewappnet für die sich stetig verändernden Bedingungen unserer vielfältigen Welt, in der unser Leben und Arbeiten stattfindet.

Ihr Erfolg und ihr Wachstum werden durch Diversität und durch die Tatsache generiert, dass die so entstehenden Sichtweisen bereichernd sind und ihnen so einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Bereits im Jahr 2008 befassten sich die Bertelsmann Stiftung und die Fondazione Cariplo in einem Thesenpapier mit der Frage „Interkulturelle Kompetenz – Die Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert?„. Verfolgt man die Entwicklungen der letzten Jahre, kann man diese Frage nur mit „ja“ beantworten, denn dort wo interkulturelle Kompetenz nicht vorhanden ist und/oder Diversity Management keine Rolle spielt, kommt es zu Konflikten und Reibungsverlusten.

Gesucht werden in Zukunft besonders TrainerInnen, Coaches und BeraterInnen, die „Übersetzer“ im übertragenen Sinne sein können. Sie werden bei der Transformation von einer Monokultur zu einer Kultur, die die Chancen in der Vielfalt sieht und als Ressource nutzen möchte, eine wichtige Rolle spielen. Ohne ihre Unterstützung wird nicht jede/jeder den Mut aufbringen, eine notwendige Veränderung einzuleiten und sich auf ungewohnte Wege zu begeben.

Nutzen Sie diese Chance, seien Sie mutig und unterstützen Sie andere dabei, ihre unterschiedlichen Talente einzubringen und erfolgreich zusammenzuarbeiten. Sie helfen Unternehmen und Organisationen dabei, bessere Ergebnisse in der Problemlösung, Forschung und Entwicklung zu erzielen, sich als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren und helfen diesen auch „nach innen“. Diversity Management erhöht die Zufriedenheit sowie die Loyalität der MitarbeiterInnen und wirkt sich positiv aus. Es schafft eine offene, inklusive Unternehmenskultur.


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Sichtbare Unterschiede sagen nichts aus

Häufig findet man Bilder wie das Bild oben, wenn „Vielfalt“ abgebildet werden soll. Männer und Frauen mit unterschiedlichen Hautfarben erwecken den Eindruck, als hätten sie alle verschiedene kulturelle Hintergründe. Was dabei vergessen wird: Das Aussehen bzw. die sichtbaren Unterschiede sagen nichts über den Menschen aus, den wir gerade betrachten. Vielleicht ist die abgebildete Person in der gleichen Stadt geboren wie man selbst, hat die gleiche Schule besucht und teilt viele der eigenen Werte. Gehört jemand, der anders aussieht, zu „uns“? Wer ist gemeint, wenn von „uns“ und den „anderen“ gesprochen wird? Wer sich mit dem Thema „Vielfalt“ beschäftigt, weiß, dass die Antworten auf diese Fragen nicht selten mit Hautfarbe und äußerem Erscheinungsbild verbunden werden. Welches Kriterium gilt denn eigentlich (Hautfarbe, Pass, Geburtsort, Zugehörigkeitsgefühlt, Werte, ...), um „dazuzugehören“?

Die Stadt Freiburg hat mit dem Logo ihrer Geschäftsstelle „Gender & Diversity“ abgebildet, was sie unter Vielfalt versteht. Es geht nicht nur um die Hautfarbe, sondern auch um das Alter, das Geschlecht, die Lebensform etc.

Mehr Bilder, die sensibilisieren, finden Sie z.B. in der o.a. Broschüre der Stadt Freiburg.


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Annelie Tattenberg war viele Jahre in verschiedenen Bereichen der Bayer AG tätig, unter anderem im Personalbereich. Sie lebte viele Jahre in Budapest, wo sie sich ersten interkulturellen Projekten widmete. Heute arbeitet sie als zertifizierte Trainerin, Beraterin und Coach für interkulturelle Kompetenz, Personal Coach, Konfliktberaterin, Lehrbeauftragte und Autorin.


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Fortbildungsangebot zum Thema Diversity-Management für Weiterbildner:

Diversity-Praxis-Workshop: Interkulturelle Kompetenz entwickeln – Ressource Vielfalt (Diversity) in Training, Beratung und Coaching nutzen

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Bildnachweis: Annelie Tattenberg - Patrícia Verbőci; pixabay – Gerd Altmann; Stadt Freiburg (Geschäftsstelle Gender & Diversity)