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Schreiben für Trainer, Berater und Coaches (1)

Der innere Leserkontakt

Ulrike Scheuermann

In dieser Artikelserie gibt Diplom-Psychologin und Schreibcoach Ulrike Scheuermann Impulse, wie Trainer, Berater und Coachs mit pragmatischen Strategien fokussiert denken, inspiriert schreiben und erfolgreich publizieren können. Im ersten Beitrag geht es um Ihre innere Haltung zu Ihren Lesern, die Sie für den gesamten Schreibprozess brauchen – auch schon zu Beginn eines Schreibprojekts, bevor Sie den ersten Satz geschrieben haben. Sie erfahren hier, wie Sie einen guten inneren Leserkontakt aufbauen. Das ist eine der großen Herausforderungen beim Schreiben. Und ein sehr psychologisches Thema.

Ich erlebe häufig in meinen Schreibcoachings, dass Klienten Schreibängste haben. Kürzlich habe ich einen Klienten gefragt, warum er vor dem Schreiben zurückscheut. Seine Antwort: „Ich stelle mir vor, meine Leser zerreißen meine Texte. In meiner Branche herrscht ein sehr kritischer Ton. Sie werden kein gutes Haar an meinem Text lassen.“

Ist diese Vorstellung realistisch? Oder stammt sie aus negativen Vorerfahrungen des Klienten, die gar nichts mit der aktuellen Situation zu tun haben? Wie auch immer – eine negative Vorstellung der Menschen, die den eigenen Text später lesen werden, stört massiv das Schreiben. Sie ist sogar einer der wichtigsten Hintergründe für viele Schreibprobleme. Eine positive Vorstellung dagegen kann das Schreiben beflügeln und helfen, die Leser mit einer stimmigen Leseransprache zu erreichen und zu inspirieren.

Warum wirkt sich der innere Leserkontakt so stark aus? Ich habe dazu eine interessante Erklärung, die zugleich der Schlüssel ist, um besser, inspirierter und mit mehr Schaffensfreude zu schreiben.

Die zerdehnte Kommunikationssituation

Beim Schreiben ist die Kommunikationssituation „zerdehnt“ – so der Fachbegriff – und das bedeutet: Erst zeitlich und räumlich versetzt lesen andere Menschen, was Sie als Autor gerade jetzt und an diesem Schreibort schreiben. Später und woanders wird dann gelesen. Sie schreiben ohne direkte Resonanz: Während bei der mündlichen Kommunikation das Gegenüber nickt, den Kopf schüttelt, etwas erwidert, anknüpft, fragt, antwortet, lacht oder weint, sind Sie beim Schreiben in einer großen Stille. Niemand ist da, der auf Sie reagiert. Und das ist für uns kaum zu bewältigen. Denn wir wollen ja mit unserem Text andere Menschen erreichen und ansprechen. Was tun wir also?

Wir ersetzen das echte Gegenüber durch eine Vorstellung. Wir kreieren einen inneren Leser oder eine innere Leserin. Öfter noch eine ganze Menge von Lesenden. Oder sogar eine diffuse Masse. Bis zu diesem Punkt ist da noch nichts Nachteiliges für den Schreibprozess zu erkennen. Aber dann...

Der innere Dialog mit den eigenen Lesern

Ab diesem Punkt beginnen sehr häufig die Gedankenschleifen ähnlich denen, die mein Klient geschildert hat: „Sie werden meinen Text banal, langweilig, zu lang, zu knapp, zu technisch, zu blumig, altbacken usw. finden“, „Sie werden den Kopf über mich schütteln, mich ignorieren, über mich lästern.“ Die Liste der negativen Kommentierungen lässt sich endlos weiter führen. Es ist viel Platz für wüste Vermutungen, die oft nichts mit der Realität zu tun haben, wo auch immer sie herstammen.

Im Coaching arbeite ich mit Klienten dann häufig mit „Logosynthese“, einer modernen Methode zur Lösung von belastenden Erinnerungen, Zukunftsvorstellungen und Glaubenssätzen, welche heute noch blockieren und einschränken. Dabei werden unbewusste Prozesse im Gehirn neu geordnet und somit auch die immer gleichen Reaktionsmuster aufgelöst. Man kann aber auch auf der Symptomebene ansetzen. Hier gebe ich Ihnen handfeste und pragmatische Anregungen dafür, wie Sie Ihre innere Haltung zum Leser mit einfachen Schritten verändern und verbessern können.

Bewusstmachen der eigenen Denkmuster

Schreiben ist ein einsames Geschäft. Das ist Nachteil und Vorteil zugleich. Interessanterweise wird im Alleinsein der innere Dialog meist „lauter“, als wenn Sie nach außen gewendet im Dialog mit anderen sind. Eine gute Gelegenheit also, seine eigenen Denkmuster während des einsamen Schreibens bewusst zu machen, zu verstehen und zu verändern.

Gehen Sie beim Schreiben Ihren Gedanken und Vorstellungen über Ihre Leser nach, um sie sich bewusster zu machen: „Was meine ich, wie meine Leser über meinen Text und mich denken? Was sagen sie?“ Notieren Sie während des Schreibens Ihre Antworten auf einem Blatt Papier, das bereits zu diesem Zweck bereitliegt. Sofort. Wörtlich.

Denken Sie später in Ruhe darüber nach, woher Sie diese Sätze kennen. Möglicherweise aus Ihrer (Schreib-)Biografie? Wer hat so etwas zu Ihnen gesagt? Oder: In welcher Situation haben Sie sich Solches zum ersten Mal ausgedacht?

Formulieren Sie – wenn es sich um negative Sätze handelt – probeweise anders, so dass die Sätze ihre Härte verlieren – oder lassen Sie sie einfach vorbei ziehen, ohne ihnen Beachtung zu schenken.

Sobald Ihnen eine Härte in der Textbeurteilung bewusst wird, können Sie auf diese Weise nachsichtiger mit sich werden. Wie wäre es, wenn Sie trotz Textschwächen mit einem freundlichen und freudvollen Gefühl schrieben?

So haben Sie Ihre Leser im Gefühl auf Ihrer Seite, nicht mehr auf der Gegenseite und werden dadurch auch insgesamt in einer ruhigeren, friedlicheren Schreibstimmung sein, die wiederum kreativitätsfördernd ist.

Wir projizieren unsere eigenen Ängste auf andere

Der Hintergrund für viele solcher negativer Leser-Zuschreibungen: Wir projizieren unsere eigenen Ängste und Sorgen häufig auf andere. Dann meinen wir, unsere Leser urteilten fürchterlich streng über unseren Text und uns als Autoren. Meist stimmt das gar nicht. Wir selbst sind es, die streng urteilen. Strenger als unsere Leser. Deshalb ist es immer interessant (nicht nur beim Schreiben), sich bewusst zu machen, was man meint, was andere über einen dächten. Andere sind der Spiegel unserer eigenen Ängste. Deshalb ist Schreiben auch eine großartige Möglichkeit für persönliche Weiterentwicklung. Denn wir alle schreiben ständig, und seien es nur E-Mails oder Social-Media-Posts.

Ich weiß sehr gut, auch aus eigener Erfahrung mit sieben Sachbüchern, wie schwer es manchmal ist, eine nachsichtige Haltung sich selbst gegenüber im Schreiballtag zu bewahren. Helfen kann Ihnen außer dem gerade beschriebenen Bewusstmachungsprozess auch Folgendes:

Der wohlwollende Leser auf der Tischkante

Setzen Sie sich in der Vorstellung einen wohlwollenden Leser auf die Tischkante: einen Leser, der darum bittet, endlich Ihren Text lesen zu dürfen – vielleicht ein real existierender lieber Freund oder eine Fantasie-Figur. Schreiben Sie dann für diese Person.

Werden Sie selbst zum wohlwollenden Leser. Dazu könnten Sie sich fragen: „Wie bewerte ich selbst andere Autoren?“ Häufig ist es da mit dem Wohlwollen nicht so weit her. Auch über diesen „Umweg“ können Sie eine freundlichere Haltung einüben, in diesem Fall eben erst anderen und dann sich selbst gegenüber.

Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei, sich beim Schreiben mit Ihren Lesern wohlzufühlen!

Literaturtipps:

  • Ulrike Scheuermann: Wer reden kann, macht Eindruck – wer schreiben kann, macht Karriere. Das Schreibfitnessprogramm für mehr. Linde, 2., aktual. Auflage 2013, 19,90 Euro
  • Ulrike Scheuermann: Die Schreibfitness-Mappe. 60 Checklisten, Beispiele und Übungen für alle, die beruflich schreiben. Linde 2011, Arbeitsbuch A4, 19,90 Euro
  • Ulrike Scheuermann: Schreibdenken. Schreiben als Denk- und Lernwerkzeug nutzen und vermitteln. Verlag Barbara Budrich /UTB 2, überarb. Auflage 2013, 9,99 Euro

 

Die Autorin: Ulrike Scheuermann

ist Leiterin der „Akademie für Schreiben“ und gehört zu den profiliertesten Schreibcoachs im deutschsprachigen Raum. Die Diplom-Psychologin unterstützt seit 20 Jahren Sach- und Fachbuchautoren, Wissenschaftler und andere, die beruflich schreiben, beim erfolgreichen Schreiben und Publizieren sowie in ihrem zweiten Geschäftsbereich „Das Wesentliche leben“ bei der Fokussierung auf das, was im Leben wirklich zählt und darauf, alle Seiten der eigenen Person und des Lebens anzunehmen. Sie hat gerade das Manuskript für ihr siebtes Buch fertig geschrieben. Im Herbst 2016 erscheint es bei Knaur.

www.akademie-fuer-schreiben.de 

Unser Tipp: Ihre Seminare „Sachbücher entwickeln“ und „Schreibfitness – Schreiben mit System und Schaffensfreude“ finden mehrmals jährlich in ihrer „Akademie für Schreiben“ in Berlin statt.

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