Jürgen Graf Jürgen Graf

Weiterbildungsszene Deutschland 2012

Lernhäppchen to go

Jürgen Graf

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es Unternehmen am Budget, in wirtschaftlich guten Phasen mangelt es ihnen an Zeit, um sinnvoll in die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter zu investieren. Im „Lernhäppchen bei Bedarf" versprechen sich die Betriebe die Lösung – für Trainer bedeutet dies ein gänzlich anderes Arbeiten.

Es ist paradox: Die Budgets sind da, der Bedarf ist erkannt, auch der Nutzen steht außer Frage – zur Realisation einer Weiterbildungsmaßnahme kommt es häufig trotzdem nicht. „Wegen Zeitmangels der Teilnehmer gecancelt” – mit dieser Begründung musste sich eine Trainerin, die sich an der aktuellen Trendanalyse des Verlags managerSeminare beteiligte, abfinden. Und dies ist kein Einzelfall. Rund 54 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass sich ihr Zeitaufwand für Weiterbildung auf maximal einen Tag pro Mitarbeiter und Jahr beschränkt (siehe Abb. 1). Vor fünf Jahren lag dieser Anteil lediglich bei 35 Prozent. „Die zeitlichen Möglichkeiten, Trainings zu machen, werden immer weniger, obwohl die positiven Entwicklungen nach den Trainings da sind”, bekennt auch die Personalentwicklerin eines Kaufhauses. Die Lösung des Problems aus ihrer Sicht: „Zukünftig geht die Tendenz zu individuellen Einzelcoachings bei Bedarf.”

Standardisieren oder individualisieren?

Angesichts der knappen Ressource Arbeitszeit lautet für die Unternehmen die Ausgangsfrage
aller Überlegungen: Was wird in Sachen Weiterbildung standardisiert, was wird individualisiert? Geht es darum, aktuelles Fachwissen an die Mitarbeiter zu vermitteln, lösen Blended-Learning-Konzepte und Webinare vor allem in großen Organisationen immer häufiger die klassischen Präsenzveranstaltungen ab. „Betriebliche Weiterbildung geschieht nicht mehr in Seminarform bzw. Frontalunterricht, sondern im Online-Selbstlernmodul,” so eine befragte Personalentwicklerin.

 

Die Fokussierung auf konkrete Problemstellungen zählt ebenfalls zu den bevorzugten Strategien, dem Engpass Zeit zu begegnen. „Qualifizierung geschieht bedarfsorientiert, bezogen auf den Mitarbeiter und den Arbeitsplatz”, fasst der Personalverantwortliche eines Logistikunternehmens den Trend zur individualisierten Kompetenzentwicklung zusammen, bei der die Verbesserung der täglichen Arbeitsprozesse im Vordergrund steht. Dabei gilt: Kurze, aber regelmäßige Lerneinheiten vor Ort – auch im Sinne eines coachenden Begleitens – ersetzen hier ebenfalls das klassische Präsenztraining.

Das große Manko liegt indes in der Umsetzung. So berichtet eine Trainerin von Anfragen, „die vom Auftraggeber noch nicht klar als Anliegen formuliert werden können und eher ein ‚Schnellschuss’ werden sollen als ein langfristig angelegtes Konzept”. Und ein anderer Trainer bemerkt eine „verstärkte Unklarheit darüber, was und ob überhaupt nach außen beauftragt werden soll”.

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Abb. 1: Seminartage pro festem Mitarbeiter und Jahr in Unternehmen (in %)

Gefordert: Know-how und Kompetenzen jenseits des Seminarraums

Für Weiterbildungsanbieter erfordert dies bereits im Vorfeld einer Maßnahme einen erheblichen Analyse- und Beratungsaufwand. Die Konsequenz: Gerade noch ein Drittel ihrer Arbeitszeit widmen sie ihrem eigentlichen Kerngeschäft – Schulung und Training (siehe Abb. 2). Der Arbeitsaufwand für alle Begleitaufgaben rund um die Schulung – Beratung, Konzeption, Medienerstellung und Evaluation – liegt mit 42 Prozent deutlich darüber. Für die Trainer hat diese Entwicklung gleich in mehrfacher Hinsicht Konsequenzen:

 

  • Die Honorargestaltung wird schwieriger und verlangt gegenüber dem Auftraggeber „Standing”, um z.B. auch Konzeptionen, Beratung und Transferbegleitung in Rechnung zu stellen. Die gängige Faustformel von 80 bis 100 Trainingstagen pro Jahr, die für ein wirtschaftlich gedeihliches Auskommen eines Einzeltrainers notwendig sind, ist bereits für viele reine Fiktion. Denn bei immer kürzer getakteten Trainingseinheiten bedarf es eines stetig wachsenden Arbeitsaufwands, um diese Marke zu erreichen.
  • Akquisition wird zur langfristig angelegten Überzeugungsarbeit. Mit einem Anteil von knapp 15 Prozent nimmt der Aufwand für Akquisition und Marketing nach der Schulung schon jetzt die meiste Arbeitszeit der Weiterbildner ein. Je komplexer und umfassender die Aufgabenstellungen in Unternehmen sind, desto präziser muss der Weiterbildungsanbieter sein eigenes Kompetenzprofil herausstellen und kommunizieren. Die Formel „One size fits all” gilt in der betrieblichen Weiterbildung gerade nicht. „Es wird nicht mehr so lange mit demselben Berater und Trainer zusammengearbeitet” beschreibt ein Trainer die daraus resultierende, praktische Konsequenz.
  • Die eigene Weiterbildung ist nicht nur gelebtes Selbstverständnis eines Trainers, sie ist Teil des Marketings. Letztlich kauft der Auftraggeber nichts anderes als den Know-how-Vorsprung des Weiterbildungsanbieters ein. Die kontinuierliche eigene Qualifizierung ist für Trainer daher ein Stück praktische Zukunftssicherung. Die Zahlen der Trendanalyse belegen, dass die Weiterbildungsbranche dieser Erkenntnis durchaus Taten folgen lässt: Trotz deutlich verbesserter Auftragslage und höherer Arbeitsauslastung investieren Trainer jede zehnte Stunde ihrer Arbeitszeit in die eigene Weiterbildung – der Anteil bleibt damit auf dem hohen Niveau der Vorjahre. Und die Qualifizierung dient einer klaren Zielrichtung, wie ein Trainer konstatiert: „Die weitere Spezialisierung ist ein absolutes Muss.”
  • Um dauerhaft im Geschäft zu bleiben, muss der Einzeltrainer vom Einzelkämpfer zum Netzwerker werden. Für das Gros der Einzeltrainer besteht in dieser Hinsicht akuter Handlungsbedarf. Knapp 60 Prozent gaben an, mit überhaupt keinem Partner zu kooperieren. Zum Vergleich: Bei Instituten mit mehreren angestellten Mitarbeitern liegt dieser Anteil lediglich im einstelligen Prozentbereich. Der vielzitierte „Einzelkämpfer” ist also häufig und immer noch ein „Überzeugungstäter”. Er gibt aber damit die Chance aus der Hand, durch sinnvolle Ergänzung der jeweiligen Kompetenzen an vielfältigere Aufgaben und vor allem an größere Auftragsvolumina zu kommen.

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Abb. 2: Für welche Aufgaben Weiterbildungsanbieter ihre Arbeitszeit verwenden (in %)

De facto gibt es zur Kooperation keine Alternative, meint eine Beraterin mit Schwerpunkt Change-Management: „Konzerne haben Rahmenverträge, die vermehrt zu Subcontracting führen, das heißt, als kleiner Anbieter kommt man nicht mehr selbst rein, sondern als Experte durch einen größeren.” Oder anders formuliert: Wer sich in der Weiterbildungsbranche klar positioniert und spezialisiert – und dies wird angesichts der geschilderten Situation immer dringlicher –, macht aus der vermeintlichen Konkurrenz- eine Win-win-Situation. Das allerdings setzt aktives Networking voraus. Allein im stillen Kämmerlein sitzend kommt der spezialisierte Nischenanbieter auch nicht zu Aufträgen.

Literaturtipp

Jürgen Graf
Weiterbildungsszene
Deutschland 2012
93 Seiten, eBook, 99,50 Euro
(kostenfrei für Abonnenten von Training aktuell).
Infos unter: www.managerseminare.de/eBooks

Der Autor

Jürgen Graf, Jg. 1966, arbeitet seit 1990 als Redakteur und Lektor bei der managerSeminare Verlags GmbH, Bonn, und Autor der „Weiterbildungsszene Deutschland”.

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Jürgen Graf
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