Jürgen Graf Jürgen Graf

Weiterbildungsszene Deutschland 2011

Der Spiegel widmete ihm 2011 bereits zwei Titelgeschichten, Weiter-bildungsanbieter erleben ihn im Kontakt mit den Teilnehmern hautnah, Unternehmen können ihn nicht mehr als bedauerlichen Einzelfall bezeichnen: Die Rede ist vom Burnout. Die Ergebnisse der Trendanalyse belegen: Das Thema findet zunehmend Beachtung in betrieblichen Weiterbildungskonzepten.

Welche Themen und Inhalte bestimmen das Geschehen auf dem Weiterbildungsmarkt? Diese Frage ist fester Bestandteil der jährlichen Trendanalyse des Verlags managerSeminare, an der sich im August 2010 wieder 729 Weiterbildungsanbieter und 72 Weiterbildungsabteilungen von Unternehmen beteiligten. Die Teilnehmer konnten dabei unter 20 vorgegebenen Themenbereichen ihre Prioritäten setzen – sowohl hinsichtlich des momentanen Stellenwertes als auch bezüglich der vermuteten zukünftigen Bedeutung.

Coaching, Organisationsentwicklung und Stressbewältigung / Gesundheit lassen die größten Zuwächse erwarten

Einig sind sich Weiterbildungsanbieter und Unternehmen in einem Punkt: Das Thema Mitarbeiterführung genießt aktuell nach wie vor die mit Abstand höchste Priorität. Dahinter folgen bei den Weiterbildungsanbietern die Themen Verkauf/Marketing, Coaching sowie nahezu gleichauf Organisationsentwicklung, Persönlichkeitsentwicklung sowie Team-, Konflikt- und Projektmanagement. Bei den Unternehmen steht nach der Mitarbeiterführung das Thema Teambildung/Teamführung ganz oben auf der Agenda. Geht es um die zukünftigen Themenschwerpunkte, herrscht zwischen Weiterbildungsanbieter und Unternehmen ebenfalls weitgehender Konsens: Coaching, Organisationsentwicklung und vor allem Stressbewältigung/Gesundheit sind die Bereiche, die die größten Zuwächse erwarten lassen.
Auch wenn die Trendanalyse kein repräsentatives Abbild der Unternehmenslandschaft liefert, so verdient ein Ergebnis doch besondere Beachtung: Erstmals in der 15-jährigen Historie der Trendanalyse liegt der Anteil der befragten Unternehmen, die den Themenbereich Gesundheit / Stressbewältigung als Weiterbildungsschwerpunkt benannten, über dem der Weiterbildungsanbieter. Und das betrifft gleichermaßen die Einschätzung der momentanen wie der zukünftigen Bedeutung. Vor allem in den vergangenen zwei Jahren hat die Thematik dabei einen signifikanten Bedeutungsschub erfahren (siehe Grafik).
Dass den Unternehmen diese Thematik zunehmend unter den Nägeln brennt, belegt ein weiteres Ergebnis. Gefragt wurde nach dem konkreten Bedarf in den Betrieben: Werden den Mitarbeitern also entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen aktuell angeboten oder nicht? In der Regel manifestiert sich in diesen Werten die aktuelle Wirtschaftssituation sowie die Frage, welche Themenbereiche eher als „Nice to have” – und damit als verzichtbar – angesehen werden, da sie keinen unmittelbaren Nutzen für das Unternehmen erwarten lassen. Doch auch hier mausert sich Stressmanagement vom Nischenthema zum festen Bestandteil im Maßnahmenkatalog der Unternehmen. Gaben in den Jahren zuvor nicht
selten zwischen 40 bis 50 Prozent der Betriebe an, diesbezüglich keinen Bedarf zu haben, so äußern sich dahingehend aktuell nur noch 17 Prozent der befragten Unternehmen. Entsprechende Weiterbildungsangebote sind auf dem Weg, sich neben so selbstverständlichen Qualifizierungsfeldern wie Führung, Präsentieren / Moderieren, IT / Neue Medien, Teambildung und Projektmanagement oder Coaching zu etablieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Wert in Sachen Konfliktmanagement: Lediglich sieben Prozent der befragten Unternehmen haben zurzeit dies-bezüglich keinen Weiterbildungsbedarf.

Mehr und mehr Menschen haben Symptome von Burnout

Die Befindlichkeit der Mitarbeiter scheint damit im krassen Gegensatz zur aktuell beeindruckenden Wirtschaftskraft der deutschen Unternehmen zu stehen. Und in der Tat zeichnen die Aussagen der Weiterbildungsanbieter ein beunruhigendes Bild über das Innenleben in vielen Unternehmen: „Immer mehr Druck” gehört zu den mit Abstand meistgenannten Formulierungen auf die Frage, welche auffällige Veränderung sie in den vergangenen drei Jahren beobachtet haben. „Früher ging es um Gewinn von mehr Selbstbestimmung, heute geht es um berufliches ‚Überleben' und gesundheitliches Durchhalten.” „Mehr und mehr Menschen haben Symptome von Burnout”, „Selbstzweifel bei Führungskräften, ob sie den ständig wachsenden Anforderungen langfristig gewachsen sein werden”, „Mehr Stress und Angst in den Organisation”, „Wir erhalten ausschließlich ‚delikate' Mandate“ – mit Aussagen wie diesen lassen sich Seiten füllen.

Leistungsträger sind an Gesundheit und Zufriedenheit, statt Karriere mit noch mehr Leistungserwartungen interessiert

Trainer, Berater und Coachs haben durch ihre Aufträge einen unmittelbaren Einblick in das psychosoziale Innenleben der Unternehmen. Den geschützten Seminarraum nutzen die Teilnehmer mehr denn je als Möglichkeit, um Dampf abzulassen. Es sind dabei auch und gerade die Leistungsträger, die Gesundheit, psychisches Wohlbefinden und Arbeitszufriedenheit einfordern, statt die nächste Karrierestufe mit noch höheren Leistungserwartungen anzupeilen.

Das Weltbild prägt das betriebliche Engagement in Sachen Weiterbildung

Einigen Unternehmen schwant sehr wohl, dass die üblichen Qualifizierungsangebote und ein paar begleitende PE-Strategien auch angesichts des demografischen Wandels und des vielfach beklagten Fachkräftemangels kaum ausreichen, um hochengagierte Mitarbeiter bei der Stange zu halten. Die Personalverantwortliche eines großen Kaufhauses erwähnt explizit den Aufbau eines neuen Gesamtkonzepts, das die Schwerpunkte Unternehmenskultur, Fortbildung, Führung und Gesundheit umfasst. Doch selbstverständlich ist dies nicht. Aus ähnlichen Ausgangssituationen ziehen Unternehmen höchst gegensätzliche Schlussfolgerungen. Und die manifestieren sich in der Gretchenfrage, ob man in einen latent krisenhaften Umfeld „weiche Themen” forciert oder sich doch lieber auf „hartes Fachwissen” konzentriert bzw. schlichtweg spart. Der eine beobachtet eine „verstärkte Umorientierung in den Werten” verbunden mit der „Bereitschaft Mitarbeiter stärker zu unterstützen” wodurch „Führungskultur, Betriebsklima und gesunde Leistungsstrukturen wieder mehr im Vordergrund stehen.” Der andere erlebt Auftraggeber, bei denen „Soft Skills wieder ‚hinten’ angestellt” werden, „für die Entwicklung der Sozialkompetenzen momentan kein Geld da” ist oder gar der Bedarf nach Verhaltenstrainings als „gesättigt” gilt.
Ob nun erhöhte Selbstreflexion und Offenheit oder aggressiver Tonfall und überforderte Entscheidungsträger das Bild einer Organisation prägen, sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille. „Systemisches Denken und innere Haltung dürften wohl die Zukunftsthemen sein”, fasst ein Coach seine Beobachtungen bei Klienten und Auftraggebern zusammen. Kurz: Es ist eben immer auch das Weltbild, das das betriebliche Engagement in Sachen Weiterbildung prägt.

 

Jürgen Graf, Jg. 1966, arbeitet seit 1990 als Redakteur und Lektor bei der managerSeminare Verlags GmbH, Bonn, und ist Herausgeber des Jahrbuchs „Seminare” sowie Autor der „Weiterbildungsszene Deutschland”.

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Das Buch zum Artikel

Jürgen Graf
Weiterbildungsszene
Deutschland 2011
146 Seiten, 89,90 Euro

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