Dr. Jürgen Wunderlich 

Die Grenzen der Intuition

Warum es nicht immer schlau ist, nur auf seinen Bauch zu hören?

Viele Verfechter der Intuition stellen diese gerne als Allheilmittel dar. Man bekommt den Eindruck, dass Menschen, die nur intuitiv handeln in jeglicher Hinsicht überlegen sein müssen. Doch das ist nicht immer der Fall. Genauso wie der normale Verstand, hat auch die Intuition ihre Grenzen.

Umso wichtiger ist es, zu wissen, wann es besser ist, sich auf etwas anderes zu verlassen als auf die Intuition. Stellen Sie sich vor, Sie suchen eine neue Mitarbeiterin. Die Kandidatin verfügt über eine gute Papierform, die Sie dazu bewogen hat, sie neben anderen Bewerbern persönlich einzuladen. Bereits in den ersten Momenten des Bewerbungsgespräches spüren Sie ein unangenehmes Prickeln auf der Haut. Eigentlich ein sehr verlässliches Zeichen dafür, dass die Bewerberin nicht in Ihr Unternehmen passt. Trotzdem führen Sie das Bewerbungsgespräch fort. Immer wieder kommen Ihnen unangenehme Assoziationen. Obwohl die Bewerberin bei allen Fragen und auch den gezielten Provokationen, die Sie in das Gespräch eingebaut haben, eine gute Figur macht, bleibt dieser unangenehme intuitive Eindruck. Gott sei Dank müssen Sie sich nicht sofort entscheiden. Am Abend sehen Sie sich zufällig ältere Fotos an. Beim Durchblättern bleiben Sie an einem Bild hängen. Dort sieht eine alte Bekannte fast genauso aus wie die Bewerberin. Es ist fast so, als ob es sich um die Tochter dieser Frau handelt. An diese Frau haben Sie eine recht unangenehme Erinnerung. Sie hat Ihnen damals sehr wehgetan und versucht, Ihre Karriere kaputt zu machen. Jetzt wissen Sie woher dieser unangenehme Eindruck stammt, den Ihre Intuition zu Tage gefördert hat. Die unangenehme Erinnerung ist tief in Ihrem Unterbewusstsein eingegraben. Sie kommt oft nicht direkt zum Vorschein, sondern nur über unangenehme Gefühle. Da die Funktion der Intuition in erster Linie in der Selbsterhaltung liegt, bedeutet dies, dass sie eher ein falsch-negatives Urteil fällt, als erneut ein Risiko einzugehen. Wenn Ihnen Ihre Intuition zu Personen negative oder warnende Informationen liefert, dann ist es wichtig, dass Sie zunächst überprüfen, inwieweit diese durch eine ältere Erfahrung eingefärbt sind. Stellen Sie sich kurz folgende Fragen:

  • An wen erinnert mich diese Person?
  • Welche Erfahrungen habe ich mit dieser Person gemacht?

So können Sie sich vor einer intuitiven Fehlentscheidung bewahren.

Dieses Beispiel zeigt auf, dass Intuition sehr wohl ihre Grenzen hat. Je intensiver Sie z. B. über ein Problem und seine Rahmenbedingungen Bescheid wissen, desto weniger bringt Ihnen die Intuition Vorteile. Wenn Sie vor einem Problem stehen, zu dem tatsächlich nur wenige Einflussgrößen existieren und das Sie sehr gut kennen, dann verbessert Ihre Intuition den Entscheidungsprozess nicht. Also können Sie in solchen Fällen getrost - aufgrund Ihrer fachlichen Kenntnisse - vorgehen. Aber auch starke Emotionen können Ihnen intuitive Wahrnehmungen vorgaukeln, ohne welche zu sein. Achten Sie deshalb auf folgende Punkte, die Ihnen deutlich die Grenzen der Intuition aufzeigen:

1. Gefühle als Grenzen der intuitiven Wahrnehmung

Ihre Stimmung lässt sich sehr leicht manipulieren. Denken Sie jetzt bitte an eine Person, die Sie in Ihrem Berufsleben unterstützt hat. Nehmen Sie sich die Situation, in der Sie die beste Erinnerung an diesen Menschen haben. Erinnern Sie sich an deren Worte, ihren Gang, die Art und Weise, wie sie sprach. Welche Kleidung trägt dieser Mensch? Was macht diese Person? Was nehmen Sie sonst noch wahr? Die meisten Leser, vielleicht auch Sie, erleben jetzt eine Art „Kopfkino“. Welche Gefühle löst dieses bei Ihnen aus? Mal angenommen, ich würde Sie jetzt bitten, mich bei meiner Karriere zu unterstützen und dabei selbst zu wachsen, wie würden Sie sich entscheiden? Dann wiederholen Sie die gleiche Übung mit einer „negativen“ Person. Ergebnis unterschiedlich? Wenn ja, dann geht es Ihnen so, wie den meisten Menschen. Die Stimmung und Erinnerung beeinflusst Sie, ohne dass es Ihnen bewusst ist. Wenn Sie sich in diesem Bereich auf Ihre Intuition verlassen können wollen, müssen Sie diese Wirkung ausschalten. Sonst gehen Sie Ihrem Gefühl „auf den Leim“ und nutzen nicht die Vorzüge Ihrer Intuition.

2. Erinnerung als Grenze der intuitiven Entscheidung

Sie sind Experte auf einem Gebiet und müssen in einem neuen, völlig konträren Bereich aktiv werden. Dadurch gelten viele Regeln, die Sie automatisch beherrschten, nicht mehr. Sie kennen sicherlich Ihren Wasserhahn. Vielleicht haben Sie ihn schon einmal abgeschraubt, um die Dichtung zu wechseln. Dies geschieht normalerweise gegen den Uhrzeigersinn. Wenn Sie erstmals einen Gasgrill zusammenbauen und sich darauf verlassen, dass alles genauso läuft, dann erleben Sie eine Überraschung. Sie müssen im Uhrzeigersinn auf- und gegen den Uhrzeigersinn zudrehen. Ihre intuitive Regel gilt nicht. Jemand der weder das eine, noch das andere je gemacht hat, der wundert sich nicht über die unterschiedliche Drehrichtung, sondern wird mit beiden Gewindetype gleich schlecht zu Recht kommen.

3. Erfahrung als Grenze der intuitiven Kraft

Ihre persönliche Erfahrung liefert Ihnen eine Menge an sinnvollen Informationen, die Sie auch für Ihre intuitiven Entscheidungen nutzen können. Sobald Sie ein zu großes Maß an Wissen angehäuft haben, wird der Abgleich zwischen dem tatsächlichen Wissen und der Intuition schwieriger. So kann es passieren, dass jemand mit deutlich weniger Wissen, quasi jemand mit Halbwissen, intuitiv die bessere Entscheidung trifft als Sie als Experte.

4. Vorurteile und Erziehung als Grenze der Intuition

Besonders Verkäufer in besseren, edleren Geschäften neigen dazu, von der Kleidung, dem Gangmuster und der Ausdrucksweise eines Kunden auf dessen Wünsche zurückzuschließen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Film „Pretty Woman“, bei dem eine billig aussehende Prostituierte sich in einer Edelboutique seriös neu einkleiden will und von den Verkäuferinnen komplett ignoriert wird, obwohl ihr alle Mittel zur Verfügung standen, den Laden leerzukaufen. Später, nachdem sie sich in einem anderen Geschäft neu eingekleidet hat, kehrt sie in dieses Geschäft zurück. Jetzt sind die Verkäuferinnen sehr freundlich, doch die Chance für diese Boutique ist ein für alle Mal vertan. Die „Prostituierte“ wollte sich nur noch einmal Genugtuung verschaffen. Solche Fehler kommen oft dadurch zustande, dass auch unsere Intuition teilweise auf Regeln zurückgreift. In unserer Gesellschaft gibt es eine Reihe von Vorurteilen, die Sie oft nur unbewusst während Ihrer Erziehung mitbekommen haben. Bauern und Menschen vom Land werden oft als schlechterer Autofahrer und oft auch als minderbemittelt angesehen. Vorurteile werden gerne für Witze verwendet. Witze erzeugen durch das Lachen eine positive Verbindung und verstärken dadurch das Vorurteil. Wenn Sie das Wachpersonal auf Flughäfen beobachten, dann können Sie feststellen, dass diese auf orientalisch/arabisch wirkende Personen mit einer stärkeren Anspannung reagieren. Die Mehrzahl der Straftaten auf deutschen Flughäfen wird allerdings nicht von dieser Personengruppe verübt. Diese Erfahrungswerte verfälschen die Urteilskraft Ihrer Intuition. Überprüfen Sie daher unbedingt, ob ein Vorurteil in der vor Ihnen liegenden Situation mitschwingt.

Das Verhältnis von Intuition zu anderen Wegen der Entscheidungsfindung
Soll ich nun grundsätzlich intuitiv entscheiden und alle anderen Entscheidungsprinzipien über Bord werfen? Nein ganz und gar nicht. Es ist viel geschickter, wenn Sie Ihre Intuition gleichberechtigt neben alle anderen Wege zur Entscheidungsfindung setzen. Sowohl die Ratio, als auch die Emotion haben ihre Stärken. Wenn Sie diese geschickt miteinander kombinieren, dann gewinnen Sie an Power in der Wahrnehmung, ebenso wie bei der Entscheidungsfindung. Vor allem, wenn Sie sich unsicher sind, sollten Sie alle Kanäle befragen, die Sie heranziehen können. Entscheidend dabei ist es, dass Sie dies in der richtigen Reihenfolge tun:

  • Lassen Sie zunächst Ihre Intuition arbeiten. Innerhalb von Sekunden haben Sie deren Ergebnis. Dieses können Sie direkt festhalten. 
  • Danach überprüfen Sie, inwieweit die Grenzen Ihrer Intuition überschritten wurden und welche Fakten Ihnen vorliegen. 
  • Wenn möglich stellen Sie gezielte Fragen, um Ihre intuitiven Eindrücke zu bestätigen. 
  • Anschließend ergänzen Sie mit Ihren emotionalen und logischen Werten. 
  • Liegt Ihnen alles vor, fällen Sie Ihre Entscheidung.

Auf diesem Weg steht Ihnen eine äußerst wirksame Kombination aus analytischen Arbeiten und intuitiven Wahrnehmungen zur Verfügung. Die besondere Schlagkraft Ihrer Intuition können Sie besonders dadurch entfalten, wenn Sie diese gepaart mit Ihrer Emotion und Ihren logischen Fähigkeiten kombinieren. Dadurch können Sie die Stärken jedes dieser Ansätze für sich arbeiten lassen.

 

Intuition – Die unbewusste Intelligenz
I³-Power oder wenn der Bauch beim Denken hilft
Jürgen Wunderlich
Göttingen: Business Village, 2008
120 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-938358-77-1
€ 21,80


Dr. Jürgen Wunderlich

ist als selbständiger Unternehmer und langjähriger Trainer zusammen mit seiner Frau Kerstin Wunderlich, Versicherungsfachwirtin und Dipl. System Coach, als Team für Training und Coaching tätig. Beide haben mit I³-Power ein Programm entwickelt, mit dem Verkäufer und Führungskräfte durch Intuition, Inspiration und Impulse Ihre Wirksamkeit deutlich steigern können. www.intuition-im-business.de

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