Ruth C. Cohn und ihre TZI - Ein Nachruf

Dr. Cornelia Löhmer und Rüdiger Standhardt

„In einer brutal ungerechten und heute der „Endlösung“ zueilenden Welt ist TZI innerhalb der konstruktiven Bewegungen ein Beitrag zur Möglichkeit, persönliches und gesellschaftliches Zerstörungspotential wahrzunehmen, zu verstehen, sich selbst einzugestehen und damit Kraft und Zuversicht zu gewinnen, es überwinden zu helfen.“

Diese Worte stammen von Ruth C. Cohn, die am 30. Januar 2010 im Alter von 97 Jahren in Düsseldorf, im Hause Ihrer Freundin und Wegbegleiterin Helga Herrmann, verstorben ist.

Die Psychoanalytikerin und Begründerin der Themenzentrierten Interaktion (TZI) war schon zu Lebzeiten eine der zentralen Leitfiguren der Psychotherapie. Die von ihr entwickelte Themenzentrierte Interaktion (TZI) ist ein pädagogisches Gruppenmodell, das in den letzten fünfundvierzig Jahren große Verbreitung gefunden hat. Ihre schmerzlichen Erfahrungen als Jüdin mit dem Nationalsozialismus waren für Ruth C. Cohn der Ausgangspunkt ihrer Suche nach einem Weg, um „mitten im Grauen der Welt“ etwas tun zu können. Pessimistisches Erkennen und optimistisches Wollen und Hoffen sind der Nährboden, auf dem Ruth C. Cohn 1966 die TZI entwickelte. Ihr Konzept des lebendigen Lernens und Lehrens wurde eines der meistangewandten Verfahren der humanistischen Psychologie und Pädagogik und hat Eingang gefunden in Schule und Hochschule, in berufliche Aus- und Weiterbildung, die Supervision und Organisationsberatung, die Arbeit von gesellschaftspolitischen und kirchlichen Gruppen sowie die Arbeit mit Selbsthilfegruppen.

Was sind die Gründe, warum uns die TZI von Ruth C. Cohn bis zum heutige Tag fasziniert?

Uns begeistert die TZI immer wieder neu, denn es handelt sich hier um ein genial-einfaches und zugleich höchst anspruchsvolles pädagogisches Gruppenverfahren. Es geht bei der TZI um die Fähigkeit, die Spannung zwischen humanistischen Idealen und alltäglicher Wirklichkeit auszuhalten und einen kreativen Weg zu finden, das jeweils bestmögliche in die Tat umzusetzen. In unserem Buch „TZI – Die Kunst, sich selbst und eine Gruppe zu leiten“ (Klett-Cotta) haben wir die Essenz der TZI in zehn Aspekten formuliert:

1. TZI ist die Kunst, sich selbst zu leiten.

Dieses Prinzip der Selbstverantwortung beinhaltet die Fähigkeit, in die eigenen Handlungsspielräume sehen und gestalten zu können.

2. TZI ist die Kunst, eine Gruppe zu leiten.

TZI-Gruppenleitung meint, sowohl die unterschiedlichsten Leitungsfunktionen wahrzunehmen als auch sich selbst als gleichberechtigtes Gruppenmitglied aktiv einzubringen.

3. TZI ist die Kunst, ganzheitlich zu denken und zu handeln

Im System der TZI werden Gegenpole nicht als Widersprüche, sondern als Spannungspole betrachtet, die einander ergänzen und bereichern.

4. TZI ist die Kunst des dynamischen Ausbalancierens.

In der TZI sind alle vier Faktoren (Ich, Wir, Es, Globe) gleich wichtig und werden immer wieder neu in Balance gebracht.

5. TZI ist die Kunst, aus nüchternen Sachverhalten menschlich-ansprechende Themen zu machen.

Themenformulierung und Themeneinführung in der TZI ermöglichen einen persönlichen Bezug zum Lernstoff bzw. zur gemeinsamen Aufgabe zu finden.

6. TZI ist die Kunst, geeignete Strukturen für die Themen zu finden.

TZI arbeitet mit einem Wechsel der unterschiedlichsten methodischen Arbeitsformen, die für alle Beteiligten transparent sind.

7. TZI ist die Kunst, lebendig miteinander zu lernen.

TZI betont die Wichtigkeit einer sorgfältigen Vorplanung, den wertschätzenden Umgang miteinander und das Offensein für das Potential der jeweiligen Gruppe.

8. TZI ist die Kunst, wahrzunehmen und anzunehmen, was gerade ist.

TZI nimmt die Realität, so wie sie gerade ist, ernst und schafft die Voraussetzungen, um auch mit „Störungen“ und Schattenthemen konstruktiv umzugehen.

9. TZI ist die Kunst, die politische Wirklichkeit in den Blick zu nehmen.

TZI ist ein humanistischer Ansatz, der gesellschaftspolitisches Bewusstsein entwickelt und Verantwortungsgefühl fördert.

10. TZI ist immer auch Lebenskunst.

Die Gedanken der TZI enthalten Lebensweisheiten, daher sind sie nicht nur in der Arbeit mit Gruppen wirksam, sondern sie können auch die alltägliche Lebensgestaltung inspirieren.

Wir spüren Dankbarkeit, Ruth Cohn begegnet zu sein, die TZI erlernt zu haben und anderen Menschen weiterzugeben. Wir fühlen uns mit ihrem gesellschaftspolitischen Anliegen tief verbunden und ihre besondere Begabung war es, „unsere Selbstverhinderer zum Teufel zu schicken und uns zur Tat befreien.“ Das „Grauen der Welt“ ist nicht weniger geworden – im Gegenteil! Damit bleibt die zentrale Aufgabe der TZI auch weit über den Tod von Ruth C. Cohn bestehen: Immer mehr Menschen zu einem bewußteren Umgang mit sich selbst und mit anderen zu bewegen.


In der Datei finden Sie ein Portrait, geschrieben von Ruth Cohns guter Freundin Helga Herrmann

100217_herrmann _ruth_cohn portraet.pdf 100217_herrmann _ruth_cohn portraet.pdf (61.19 KB)


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