Bildnerische Methoden (3): Emotionen in Organisationen
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Bildnerische Methoden (3)
Emotionen in Organisationen
Sabine Mertens
Der wirtschaftliche Schaden durch Stresserkrankungen und krankheitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz geht in die Milliarden. Derartige Leiden schränken nicht nur das individuelle Leistungsvermögen der Betroffenen drastisch ein, sondern auch die Lebensqualität innerhalb der jeweiligen Lebensumwelten. Spontan gemalte Bilder machen persönliche Stressmuster im Wechselspiel mit umweltbedingten Stressfaktoren sichtbar. Sie taugen ebenso zur Akutbehandlung wie als Gesundheitsschutz und Prävention.
Die eigenen Emotionen und Gefühle zu kennen kann sowohl im Umgang mit anderen als auch bei der Selbstorganisation helfen. Wir brauchen unsere im Lauf der Evolution hoch entwickelten Gefühle, um uns zu schützen, aber auch, um Bindungen einzugehen: „Gefühle, das sind die großen Kuppler, sie führen – nicht nur sexuell – zu Kooperation und Kommunikation“(1). Und so könnte die schwer greifbare, nicht rationale Seite von Interaktionen und Organisationsprozessen leichter zu organisieren sein, wennMenschen sich über den „subjektiven Ursprung von Organisationsrealitäten“(2) und das tatsächliche Ausmaß ihrer eigenen Gestaltungskraft (bzw. deren Einschränkungen) im Klaren wären.
Verbale Stressmuster
Im Coaching höre ich zahlreiche Berichte von mangelnder gegenseitiger Wertschätzung, von Verletzungen und Kränkungen, die Menschen aus ihren Überlebenskämpfen innerhalb von Organisationsstrukturen davontragen. Dort rangiert Rationalität immer noch höher als Intuition und Emotion, dominieren immer noch Kennzahlen die Entscheidungsprozesse und Handlungsstrategien. Verbreitet ist auch eine kriegerische, entpersönlichte Rhetorik: Unternehmen „rüsten“ sich für den „Krieg um Talente“, „wappnen“ sich für den erbarmungslosen „Kampf um Marktanteile“ und hoffen, dass durch ausgeklügelte „Schlachtpläne“ nach erfolgtem „Feldzug“ die „Verluste“ möglichst gering ausfallen... Dabei erschaffen wir Menschen unsere Umwelten von Moment zu
Moment selbst, indem wir sie handelnd gestalten!
Atmosphären in Organisationen
Es gibt trennende und verbindende Gefühle. Wie oft ermöglichen Organisationen ihren Akteuren, ein verbindendes Gefühl wie Freude zu erleben? Wie oft hingegen eskalieren Stress und Überreizung, werden Akteure überfordert und reagieren mit kontraproduktivem, abwehrendem Verhalten oder mit entmutigenden Gefühlen wie Missgunst, Neid, Ärger und Wut, bis hin zu innerer Kündigung? Die erwähnte Kriegsmetaphorik vergiftet das Arbeitsklima und sie unterminiert – oft verstärkt durch fehlende Selbstregulation – nachhaltig das Selbstvertrauen der einzelnen Akteure.
Visuelle Stressmuster
So kann es z.B. passieren, dass selbst positiv besetzte Erfahrungen wie „Erfolgserlebnisse“(3) in der bildlichen Darstellung als ambivalent zutage treten, da sich ein emotionaler „Absturz“ eingemischt hat, wie in Bild 1, in diesem Fall hervorgerufen durch eine Kündigung.
Bisweilen kann sogar eine Krankheit als einziger Ausweg aus dem Hamsterrad empfunden werden. Man wehrt sich mit einer Diagnose – z.B. Depression oder Burnout – gegen eine feindlich erlebte Arbeitswelt. Und so höre ich in letzter Zeit öfter: „Ich glaub, ich hab´ nen Burnout...“ (siehe Bild 2). Meistens stellt sich heraus, dass die Selbstdiagnose falsch war — glücklicherweise! Die meisten Menschen sind nämlich schlicht und einfach überfordert.
In Abb. 3 steht die Lieblingsfarbe Rot für die Lebensenergie des Malers. Diese Allegorie passt hier besonders gut. Der Zeichner sagt selbst, dass ihm „Energie“ gerade dann fehlt, wenn er sie am dringendsten benötigt: wenn er sich bedrängt fühlt, was in seinem fordernden und kräftezehrenden Job häufig vorkommt. Das Bild zeigt sein Stressmuster; es führt ihm förmlich vor Augen, wie seine „Lebensenergie ausrinnt“.(3) Der Maler kann sich nur schwer abgrenzen, sowohl gegen Überforderung (von außen), als auch gegenüber seinen eigenen hohen Ansprüchen (von innen).
Er bräuchte dringend einen Ausgleich, aber das „Wiederaufladen der Batterien“, z.B. durch Entspannung, versagt er sich meistens, da er Abschalten, Ruhe, ja jedwede Form der Entlastung unbewusst mit Faulheit gleichsetzt.
Einmal ins Bild gesetzt (Abb. 4), erscheint dieser lebenswichtige Ausgleich nicht mehr so unerreichbar wie bisher. Der visuelle Anker macht die potentielle Ressource sichtbar und wirkt als Aufforderung.
Herzensbildung und emotionale Kompetenz als betriebliche Gesundheitsförderung
Organisationales Handeln kommt immer als Wechselwirkung zustande. Unternehmensstrukturen und Emotionen beziehungsweise Sozialverhalten der Akteure bedingen einander, formen und gestalten sich gegenseitig. Weick schlägt vor, Organisationen „als Erfindungen von Menschen [anzusehen], die dem Erlebensstrom übergestülpt werden und ihm für den Augenblick eine gewisse Ordnung aufzwingen“.(2)
Bilder veranschaulichen solche Ordnungen und zeigen, wie Menschen tief innerlich denken, empfinden und urteilen. Bilder sind Heuristiken (angewandte Faustregeln), die Entscheidungen erleichtern. Dabei geht es nicht um optimale, sondern um schnelle, einfache und ökonomische Maßnahmen. Bildprozesse funktionieren nach diesem heuristischen Prinzip, sowohl im Einzelcoaching, als auch in Gruppen. Wir nutzen die im Bild beobachteten Strukturen zum Probehandeln.
Das klassische Postulat, Wirtschaftlichkeit durch rationales, sachliches Verhalten zu erreichen, ist so kostspielig wie illusorisch. Es wird höchste Zeit, dass die „weichen Faktoren“, verbunden mit der Frage nach der Menschlichkeit unternehmerischer Entscheidungen ernst genommen und handlungsleitend werden. Deshalb rate ich dazu, unter Anleitung externer Fachleute auf allen Unternehmensebenen regelmäßig gemeinsame Mal-Zeiten einzuführen. Sie befördern eine offene, kooperative Unternehmenskultur und können zur Früherkennung bzw. Burnout-Prophylaxe dienen.
Abb. 1: Erfolgserlebnisse mit Karriereknick
Abb. 2: Burnout oder nicht Burnout — das ist hier die Frage
Abb. 3: Visuelles Stressmuster: Lieblingsfarbe in der Klemme
Abb. 4: Entspannung
Die Autorin: Sabine Mertens
ist Kunsttherapeutin und Psychotherapeutin HPG in eigener Praxis in Hamburg. Ihr Schwerpunkt in Diagnostik, Coaching, Training und Supervision ist die systemische Bearbeitung von Klientenzeichnungen. Ihre Leidenschaft ist emotionales Selbstmanagement und die VerFührung ihrer Mitmenschen zur Selbstführung.
IP Institut für Personalentwicklung
Beratung Coaching Insights MDI®
Sabine Mertens
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sabinemertens@t-online.de
www.sabinemertens.com
(1) Simon, Fritz B., Meine Psychose, mein Fahrrad und ich, Carl Auer, 2012
(2) Weick, Karl E.: Der Prozeß des Organisierens, Suhrkamp 1999
(3) Mertens, Sabine: Wie Zeichnen im Coaching neue Perspektiven eröffnet, Beltz 2014