christian maier-foto2016 Christian Maier

Stell dir vor es ist Schule und jeder will hin

 

„Oh, schmeckt der gut“, sagte Sabine, ein kleines Mädchen, „viel besser als die aus dem Laden. Wie machst du das, dass deine Äpfel so gut sind?“ Die Frage richtete sie an Herrn Müller, ihren Nachbarn, dessen Hobby sein Garten war. „Wenn die Schule nur auch so gut schmecken würde!“, meinte Sabine seufzend, als sie mit ihrem Apfel wegging.

Herr Müller blieb in Gedanken zurück, stützte sich auf seine Schaufel und schloss die Augen. Ja, warum schmeckt die Schule nicht so gut wie seine Äpfel? Diese Frage ließ ihn nicht mehr los. Herr Müller ist Lehrer, und das schon seit langer Zeit. Und während er die warme Herbstsonne in seinem Gesicht spürte, wurde ihm bewusst, dass auch ihm die Schule schon seit langem nicht mehr schmeckte. War das nicht damals auch ein Grund, warum er sich immer mehr auf sein Hobby stürzte? Und wie oft denkt er heute schon morgens in der Schule daran, wann er endlich in seinen geliebten Garten kommt. Aber warum war das so? Er hatte sein Fach doch früher einmal geliebt – aber das war lange her und er konnte sich kaum noch daran erinnern.

Am nächsten Morgen pflückte er einen Korb voll seiner schönsten Äpfel und nahm sie mit in die Schule. Er begann seinen Unterricht, indem er die Äpfel austeilte und sagte: „Ich möchte mit euch gerne etwas herausfinden, was mich beschäftigt, und zwar: Wie schmeckt ein Apfel und wie schmeckt die Schule und was ist der Unterschied?“ Die Schüler dachten, er wäre übergeschnappt, aber sie mochten ihn, und als sie sein ernstes und nachdenkliches Gesicht sahen, machten sie mit. So begannen sie Gründe zu sammeln, warum der Apfel gut schmeckt. Herr Müller schrieb eifrig mit, war er doch auch sehr stolz auf seine Äpfel: „Die Äpfel sind saftig, süß, frisch, herzhaft, energiespendend, lebendig, einmalig, nährend, knackig und einfach gut“, lauteten die Bemerkungen der Schüler.

Auf die zweite Frage – „Wie schmeckt die Schule?“ – kamen nach anfänglichem Zögern folgende Antworten: sauer, fad, nach nichts, mehlig, unreif, holzig, hart, geschmacklos usw. „Natürlich nicht immer“, meinten einige tröstend, als sie Herrn Müllers Gesicht sahen.

Herr Müller schrieb auch das mit und als er fertig war, rutschte ihm heraus: „Ich finde das auch!“

„Waaas?“, kam es wie aus einem Munde. Und als er seinen Schülern eingestand, dass ihm die Schule auch nicht schmecke, herrschte erstmal einiger Tumult.
„Ja, dann ändern wir dass doch und machen, dass die Schule schmeckt!“, sagten die Schüler, und auf das verzweifelte „Wie denn“ von Herrn Müller sagte einer von ihnen: „Das ist doch ganz einfach! Wir nehmen die erste Liste und unser Fach und schauen einfach, was es braucht, damit es saftig, süß, frisch, herzhaft usw. wird. Das kann doch nicht so schwer sein!“

Zum ersten Mal seit langem arbeitete Herr Müller am Nachmittag nicht in seinem Garten. Stattdessen saß er im Liegestuhl und war fasziniert von der Einfachheit der Frage: Nicht, wie vermittelt man Wissen, ist die Frage, sondern was macht Wissen saftig, süß, frisch und herzhaft. Was ist die Essenz, der Kern, das Wesentliche?

 
„Wo haben Sie gelernt, dass Sie das nicht lernen können?“
inner game Weisheit

Ich glaube, dass viele Lehrende vor lauter Reproduzieren von Wissen oft das Wesentliche aus den Augen verlieren. In den Schülern, Teilnehmern, Mitarbeitern den Spaß und die Freude am Lernen und Wachsen zu entfachen. Um diese Lust am Entdecken zu erzeugen, ist es aber nötig, in erster Linie den Menschen mit seiner Vielfalt an Potenzialen zu sehen und ihm einen Rahmen zu bieten, in welchem sich diese Potenziale entfalten können.

Mit diesem Beispiel möchte ich verdeutlichen, dass man von klein auf immer wieder erlebt hat, dass Lernen nicht wirklich „schmeckt“, nicht das Wesen der Dinge trifft und somit nicht wirklich begeistert. Die Wiederholung dieser Erfahrung wird zu einer Gewohnheit auf beiden Seiten, auf der des Lehrers, genauso wie auf Seite des Schülers.

Die Folge sind dann sich bedingende Erwartungshaltungen: Der Lehrer „Ich weiß etwas und indem ich es Dir beibringe, lernst du es.“ Das innere Spiel dabei: „Hoffentlich machst du gut mit!“

Der Schüler „Der Lehrer wird mir jetzt etwas beibringen – hoffentlich ist es nicht zu langweilig (inneres Spiel).“

Diese Gewohnheiten auf beiden Seiten sind so stabil, das selbst erfahrene Führungskräfte in einem Führungskräfteseminar sitzen, wie Schüler in der Schule: abwartend, vorsichtig, zurückhaltend bis misstrauisch. Umso überraschter und offener sind sie, wenn sie merken, dass es tatsächlich um sie geht, dass ihre Erfahrung und Wissen gefragt ist, dass es ums praktische Leben und nicht um graue Theorie geht.

Im Folgenden möchte ich unter der Überschrift „Lernzirkus“ einige Praxisbeispiele beschreiben.

„Lernzirkus“ ist ein Begriff geworden, mit dem ich in Schulen und Universitäten aktiv bin. Er hat zwei Bedeutungen:

1. Bestandsaufnahme (Aufrüttelphase):

Was ist das eigentlich für ein (lahmer) Zirkus hier, der sich Lernen nennt? Alle sitzen müde rum und warten auf die Musik von vorne!

2. Blick in die Zukunft (Motivationsphase):

Lasst uns Lernen wie im Zirkus betreiben: bewegend, lebendig und spannend. Seid selbst die Akteure und ihr werdet von euch begeistert sein.

Mit den beiden folgenden Praxisbeispielen, möchte ich Impulse geben und nicht belehren. Ich bin mir durchaus bewusst, dass es etwas anderes ist, ob man dauerhaft in einem System steckt, oder wie ich ab und zu als Trainer und Berater in der Schule aktiv ist.
 

Auszug aus dem Buch:

 

 

SPIELRAUM   FÜR WESENTLICHES 
Christian Maier 
19,50 EURO,  38,00 CHF 
192 Seiten
inkl. 3 Jongliertücher
1. Auflage   2007 gebunden
allesimfluss-Verlag
ISBN   978-3-9809167-2-1 

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In der nächsten Woche geht es weiter mit der inner game Reihe.
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