heinz kraft-foto Heinz Kraft

Gewalt-Deeskalationstrainings

Tabuthema "Amok"

Heinz Kraft

Die Öffentlichkeit wird in Abständen immer wieder mit Amokläufen und den damit einhergehenden Dramen von Opfern und Tätern konfrontiert. Als Gewalt-Deeskalationstrainer befasse ich mich tagtäglich mit dieser Problematik. Trotz der vermehrten Berichterstattung in den Medien stelle ich in meinen Workshops und Vorträgen an Schulen regelmäßig fest, dass „Amok“ immer noch als Tabuthema gilt und trotz gegenteiliger Behauptungen von Ministerien und Schulbehörden Schulen auf Amoklagen nicht ausreichend vorbereitet sind.

Vorbereitungen Umstritten

In der Literatur und in Notfallleitfäden von Ministerien, Polizei und Schulbehörden wird fast durchweg davon abgeraten, Klassen ähnlich wie bei Brandschutzübungen auf Amoklagen vorzubereiten. Begründung dieser Vogel-Strauß-Haltung: Das verunsichere und beunruhige Eltern und Schüler.

Erst die Amokläufe von Emsdetten und Winnenden nahmen viele Schulen nach dem Amoklauf von Erfurt zum Anlass, sich überhaupt mit dem Thema zu befassen, die Polizei zu Vorträgen einzuladen und in Informationsveranstaltungen und Elternbriefen zu versichern, auf solche Krisen vorbereitet zu sein.

Sicherheitsgefühl stärken – Sicherheit steigern

Für alle Krisensituationen, die Angst, Furcht und Schrecken auslösen können, gilt, dass Schweigen die Befürchtungen und Unsicherheit steigert und sachgerechte Informationen zur Beruhigung beitragen. Entscheidend für den Erfolg solcher Maßnahmen zur Beruhigung und Ermutigung, ist nicht das „Das“, sondern das „Wie“.

Das sensible Thema „Amok“ muss einfühlsam, altersgerecht und Mut machend aufgegriffen werden. Weiterhin müssen alle – Schule, Eltern und Schüler – einbezogen werden und das Konzept „Verhalten bei Amokalarm“ gemeinsam
tragen.

Konzeptüberlegungen

Eine sehr schwierige Situation bei einem Amoklauf ist, wenn im Akutfall die Schüler alleine und ohne Lehrkraft sind, wie es tagtäglich z.B. in Pausen u.a. Situationen vorkommt. Ausgehend von der Frage, was eine Klasse machen soll, wenn sie im Augenblick des Amokalarms ohne Lehrkraft ist, entschied eine Schule, ihre Schüler über zweckmäßiges Verhalten bei Amokalarm zu informieren.

Wir – die Schule und ich - waren uns einig, keine „Vollübung“ anzubieten, sondern eine Informationsveranstaltung zunächst für ausgewählte Schüler als eine Art Testlauf durchzuführen, die die Kernthemen aufgreift und mit Experimenten und Übungen Handlungsimpulse fördert. Einbezogen wurden Krisenteammitglieder, Elternvertreter und die Notfallseelsorge.

Vermittlungsansatz

Ziel war, die Schüler so zu informieren, dass sie im Ernstfall schnell die lebensrettenden Handlungsmuster „abrufen“ können, ohne dass sie nach der Veranstaltung verängstigt und verunsichert den Schulbesuch verweigern wollen. Falsch angegangen ist eine solche Reaktion durchaus möglich, wie diverse praktische Fälle zeigen. Um dies zu vermeiden erschien mir ein Mix aus Information, Diskussion von Szenarien und lösungsorientierten praktischen Übungen als geeignet.

Täterziele – Schulziele

Ziel des Täters ist es oft, möglichst viele Menschen zu töten. Dem gegenüber steht das Ziel der Schule, Opfer zu vermeiden, alle Schüler zu retten.

Run – hide – fight

Im eingesetzten Kurzfilm wurde ein Szenario mit Lösungshinweisen vorgestellt, für das sich die Schüler schnell auf Flucht als Rettungsmöglichkeit einigten. Kann eine Klasse nicht mehr zum Schutz betreten werden, ist Flucht oder Verstecken angezeigt.
Folgeszenario: „Flucht nicht mehr gefahrlos möglich“, weil sich die Klasse beispielsweise im Obergeschoss befindet. Lösungsvorschlag: Klasse abschließen, Tür verbarrikadieren. Wie lösungskreativ auch 12- und 15-jährige sein können, erwies sich im praktischen Teil, in dem nur die Gegenstände verwendet werden durften, die sich im Raum befanden.

Eine kritische Phase entschärft

Amokläufe führen zu Situationen, die alle Beteiligten an ihre Grenzen bringt. Wie lässt sich z.B. Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass eine verbarrikadierte Tür nicht mehr geöffnet werden darf, wenn ein Klassenkamerad von außen an die Tür klopft und Einlass begehrt? Schnell erkannte die Klasse, dass ein erreichtes Sicherheits- und Schutzniveau nicht mehr vermindert werden darf. Daher war für alle klar, dass die verbarrikadierte Tür nicht mehr geöffnet werden darf– sondern der Einzelne zu flüchten oder sich zu verstecken hat, anstatt verzweifelt gegen die Tür zu trommeln und damit die Sicherheit der Klasse zu gefährden. Erkenntnis der Schüler: Dieser Grundsatz muss
allen Angehörigen der Schule bekannt sein.

Letztes Mittel: Angriff

Das Szenario der verbarrikadierten Tür und Reaktionsmöglichkeiten darauf waren Grundlage für das folgende Horrorszenario: Der Amokläufer betritt die Klasse.

In einem solchen Fall bleibt nur noch der Angriff gegen den Täter als letzte Option. Zur Vorbereitung wurde in der Turnhalle ein Parcours aus Bänken und Kästen aufgebaut, an dessen Ende ein kräftiger Schüler stand, den es festzuhalten und bewegungsunfähig zu machen galt. Auf Kommando sprangen die Akteure „über Tische und Bänke“ und hielten den Anderen fest. Im Ernstfall wäre der Umgang mit ihm deutlich robuster gewesen. In der Klasse ließ sich dieser Impuls für den Transfer nutzen, den Schülern die Zuversicht zu vermitteln, selbst in der Situation des Super-GAUs nicht völlig hilflos zu sein, sondern noch etwas zur eigenen Rettung tun zu können.

Ziel erreicht: Furch- und Angstabbau und Ermutigung zum Handeln

In der Rückmelderunde nach dem Training sprachen sich alle dafür aus, auch allen anderen Schülern die Informationen zum zweckmäßigen Verhalten im Amokfall zu vermitteln. Als hilfreich hervorgehoben wurden die Übungen und Experimente, die ihnen erst das Gefühl gaben, künftig handlungsfähig zu sein. Eine rein kognitive Vermittlung in Form von Vorträgen oder Gedankenspielen hätte nicht den gleichen Effekt gehabt, möglicherweise sogar mehr zu Ängsten und Misstrauen untereinander beigetragen.

Erwähnenswert ist sicherlich, dass schon im Vorfeld die Eltern der ausgewählten Schüler und die Elternvertretung das Projekt vorbehaltlos unterstützten.

Mut zeigen

Diese Schule bewies den Mut, das unbequeme und angstbehaftete Thema „Amok“ anzugehen und nicht - wie leider üblich – totzuschweigen. Die Verantwortlichen waren auch bereit, den etwaigen Sturm der Entrüstung von Polizei, Schulverwaltung und sonstigen „Fachleuten“ auszuhalten. Die Argumente für ihr Vorgehen ergeben sich aus der Testveranstaltung, und ich freue mich, dass ich Skeptikern künftig die Erfahrungen aus diesem Experiment entgegenhalten kann.

Mein Fazit: Nicht wegschauen und totschweigen, sondern offensiv die Themen angehen und für Lösungen offen sein. Das schafft bei allen Betroffenen mehr Sicherheit und auch den Mut, sich unbequemen Fragen und Situationen zu stellen. 

Was halten Sie von diesem Konzept? Ich freue mich über Rückmeldungen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinz Kraft

 

Der Autor: Heinz Kraft

Heinz Kraft ist Experte für Konflikt- und Gewalt-Deeskalation, insbesondere in „kritischen Begegnungen“ (hoheitliches Einschreiten; Kontrollieren; Überwachen) und Konfliktbearbeitung im Schulalltag. Spezialgebiet: Mobbing, Bedrohungssituationen, Amoklagen.

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