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Die Zukunft des Lernens (2)

Das Was und Wie

Roland Böttcher

Wie wird die Zukunft des Lernens aussehen? Wie und auch was werden wir künftig lernen? Nachdem Sie im ersten Beitrag über heutige Lerntrends und fünf Hauptentwicklungen, die das künftige Lernen in Europa bestimmen werden, lesen konnten, geht es in diesem zweiten Teil um die Fragen: Wie und was wird im welchen Umfeldern gelernt werden? Welche Kompetenzen werden besonders wichtig? Wie kann Training in der Zukunft aussehen?

Was wir (vielleicht) in Zukunft lernen

Die Wichtigkeitslücke schließen

Zahlreiche PISA-Studien beschäftigen sich mit „Leistungslücken“ (achievement gaps) und haben lebhafte Auseinandersetzungen darüber ausgelöst, WIE man künftig besser an Schulen lehren und lernen könnte. Das „relevance gap“, die „Wichtigkeitslücke“ - die Frage nach dem, WAS künftig gelernt werden sollte - wird eher im Hintergrund oder gar nicht diskutiert1. Doch gerade diese Lücke wird beim extrem schnellen sozio-ökonomischen und technologischen Wandel immer bedeutungsvoller - auch in Unternehmen.

Nach Prognosen werden die mathematischen und verbalen Fähigkeiten weiterhin mit den wissenschaftlichen Kenntnissen und dem digitalen Know-How den Kern der künftigen Anforderungen bilden2. Gleichzeitig werden viele Inhalte durch das Internet (oder Intranets) jederzeit verfügbar und abrufbar. Das Lernen auf Vorrat, dem oft die Praxisrelevanz fehlt, wird deshalb mehr und mehr durch ein „just-in-time-learning“ ersetzt. Videos, E-Learning Einheiten, Dokumente etc. können in Wissensbibliotheken angefordert werden, wenn Kenntnisse und Können fehlen.

Neues Denken erlernen

Nicht Speed- oder Photoreading, die noch schnellere und größere Aufnahme an Informationen, sondern die Art und Weise, wie wir denken und welche Denkwerkzeuge wir benutzen, muss noch größere Bedeutung gewinnen. Besonders gebraucht werden:

Kritisches Denken: Wie kann ich die wesent­lichen, bedeutungsvollen und seriösen Informationen aus dem Überangebot herausfiltern? Wie kann ich diese Informationen synthetisieren und damit wichtige Fragen beantworten? Wie kann ich zu begründeten Urteilen und Entscheidungen kommen?

Systemisches Denken: Wie kann ich mein Denken an die Komplexität der Welt anpassen und die Verflechtungen und interaktiven Wechselwirkungen im Unternehmen, meiner Abteilung, in mir selbst erfassen, beschreiben und darstellen?

Problemlösungsdenken: Wie kann ich zielgerichtet und variabel auf Herausforderungen reagieren? Wie kann ich flexibel schnelle Strategiewechsel vornehmen und „auf Sicht“ fahren?

Multiperspektivisches Denken: Wie kann ich meine Perspektive durch die der anderen erweitern, wenn ich in divers zusammengesetzten Teams, interkulturellen Projektgruppen arbeite oder in Organisationen mit flachen Hierarchien und geringen Kommunikationsschranken tätig bin?

In seinem Buch „Five Minds for the Future“3 beschreibt Prof. Howard Gardner fünf Denkmuster für die Zukunft4:

  • Diszipliniertes Denken: Eine grundlegende Disziplin beherrschen, zum Experten werden und immer weiter lernen
  • Synthetisierendes Denken: Sinn für das Ganze haben, Dinge zusammenbringen, vernetzen und/oder miteinander kombinieren
  • Kreatives Denken: Neues finden und erfinden, neue Perspektiven erschließen und Grenzen im Kopf überwinden
  • Respektvolles Denken: Andere Menschen aktiv wertschätzen und deren Andersartigkeit respektieren
  • Ethisches Denken: Ethisch handeln, sowohl im Beruf als auch als Bürger

Kompetenzen der Zukunft

Um in der Zukunft der global kompetente, digital versierte und kreativ und kritisch denkende Mitarbeiter (und auch Bürger) zu sein, werden auch bestimmte Kompetenzen sehr wichtig sein. Dazu gehören in der Hauptsache die:

  • Persönliche Kompetenz (sich selbst kennen und managen können; wissen, was ich noch zur Weiterentwicklung brauche)
  • Soziale Kompetenz (empathisch sein; mit Einzelnen, in Gruppen und Netzwerken erfolgreich und effektiv kommunizieren können; Beziehungen gestalten; Konflikte lösen)
  • Führungskompetenz (strategisch vom Ende her denken; Strategien schnell und flexibel anpassen; ethisch dem Ganzen dienen)
  • Globale Kompetenz (sich vernetzt mit dem Gesamten sehen; Unterschiedlichkeiten würdigen und respektvoll wertschätzen; interkulturell verstehen und kommunizieren)
  • Lernkompetenz (wissen, wie man effektiv lernt; immer wieder adaptieren; über das eigene Lernen reflektieren)
  • Digitale Kompetenz (Geräte und Medien nutzen; technische Vernetzungen kennen; Informationen einholen und weitergeben)

Wie wir (vielleicht) in Zukunft lernen

Auch in der Zukunft werden wir lebenslang lernen. Nach dem Ende der Ausbildung oder des Studiums geht das Lernen stetig weiter. Es ist nicht mehr wie früher die Vorbereitung auf den Job, sondern „der Job ist das Lernen“. Lernen wird auch mehr und mehr „lebensweit“ und umfasst alle Lebensbereichen. Die Grenzen zwischen Bildung, Beruf und Freizeit werden fließend.

Das Lernen in der Zukunft wird stärker auf die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten sein. Diese Personalisierung, vor allem möglich durch die technologischen Neuerungen, erlaubt angepasste und flexible Lehrpläne je nach Kompetenz, Zeitrahmen und Lerngewohnheit des Lerners und ermöglicht es jedem, im eigenen Tempo zu lernen. Als Folge davon werden sich auch Bewertungssysteme, vor allem an Universitäten, ändern.

Mitarbeiter werden künftig mehr und mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen (müssen). Wichtige Voraussetzungen dafür sind unter anderem eine gut entwickelte Lernkompetenz und eine positive Lernhaltung im Allgemeinen. Auch Proaktivität und Risikobereitschaft sind gefordert.

Das Lernen in der Zukunft wird nur erfolgreicher sein, wenn es Lerner zentriert, motivierend, auf Erfahrungen basierend und herausfordernd gestaltet ist. Die jeweils aktuellsten Forschungsergebnisse aus der Psycho­logie, den Neurowissenschaften und dem sys­tem­ischen Denken sollen deshalb in die Lerngestaltung einfließen.

In vielen Bereichen wird die Entwicklung weg von der Einzelarbeit hin zu Formen der Zusammenarbeit und dem Gruppenlernen gehen. Der Austausch untereinander wird offener und hierarchiefreier werden: Jeder kommuniziert mit vielen Mitarbeitern. Erfahrene geben ihr Wissen und Können weiter. Ältere an Junge - und umgekehrt. Interne soziale Netzwerke gewinnen an Bedeutung. Mentoring und Peer-to-Peer-Lernen breiten sich aus.

Und schließlich wird das Lernen informeller. Die Angebote werden nicht mehr nur aus von Trainern geleiteten Seminaren bestehen. Bücher, Videos, E-Learning, Peer-Mentoring, Beiträge der weltweiten Online-Community, MOOC etc. werden in etlichen Bereichen diese ersetzen, was wiederum neue und weitere Formen der Anerkennung mit sich bringen wird, wie beispielsweise die „Micro Credentials“ von der Khan University.

Die Zukunft von Training

Das Training in der heute sehr weit verbreiteten Form von Seminaren, die zumeist aus PowerPoint-gestützten Vorträgen bestehen, wird sich in der Zukunft wahrscheinlich radikal verändern und informeller werden. Das Lernmodell „70/20/10“ wird oft als Vorbild für die Zukunft gesehen. Es verschiebt den Schwerpunkt des Lernens von strukturierten Kursen im Seminarraum auf das Lernen am Arbeitsplatz, denn es besteht aus einer Kombination von On-the-Job-Lernen (70%), dem Austausch mit Vorgesetzten, unter Kollegen und in Netzwerken (20%) sowie aus Seminaren, Online-Lernen, Büchern, Fachzeitschriften und anderen externen Lernformaten (10%)5.

Die Anzahl der „Lehrpersonen“ wird sich deshalb künftig erhöhen: Durch Learning-by-Doing wird der Arbeitsplatz zum wichtigsten Lernumfeld und jeder Mitarbeiter zum eigenen Lehrer, selbstorganisiert, mit Lernhilfsmittel wie z.B. Videos, Dokumente etc. an der Hand. Auch Mitarbeiter und Vorgesetzte werden verstärkt „lehren“ und vielleicht von einem Coach oder Mentor unterstützt werden. Überhaupt kann jeder im Unternehmen zur „Lehrperson“ werden (in den Netzwerken, in Projektteams, usw.). Die Trainer werden weniger als Wissende und Bestimmende auftreten und im Zentrum stehen, sondern in neuer Rolle als Lernbegleiter bei Workshops und Seminaren agieren. Der Trend wird immer stärker zum Blended Learning, einer Mischung verschiedener Lernarten, gehen.

Nach den heutigen Erfahrungen6 trägt eine Schwerpunktverlagerung in Richtung „70/20/10“ erfolgreich dazu bei, das individuelle Wissen und die kontinuierliche Fortbildung der Mitarbeiter in fachlicher Hinsicht zu verbessern. Es bleibt aber die Frage, wie und durch wen ein „neues Denken“ und wie etliche der neuen Kompetenzen im Unternehmen gelernt werden sollen. Ich denke, hier werden weiterhin Seminare und Blended Learning-Formen, auch von externer Seite, entscheidende Impulse geben und transformative Veränderungen ermöglichen. Sie müssen allerdings auf erfahrungsorientiertes, relevantes, motivierendes und herausforderndes Lernen abzielen, das systemisch eingebettet ist.

An welchen Prinzipien sich nachhaltiges Lernen, gleich in welcher Form und mit welchem Inhalt, in der Zukunft orientieren muss, erfahren Sie im dritten und letzten Teil dieser Artikelserie.

Der Autor: Roland Böttcher

Vice President von Delphin, Inc., langjähriges IAAL Vorstandsmitglied und Executive Director der International Alliance for Accelerative Learning (IAAL) von 2006—2010. Mitbegründer von IAALP in den USA. 

Studium der Sozialpädagogik und Psychologie; zehnjährige Tätigkeit als Musiktherapeut; Ausbildung in Entspannungsverfahren, Suggestopädie, NLP-Master-Practitioner, Ausbildungstrainer für Accelerated Learning (IAALP), Dialog-Facilitator.

Seit 1990 freiberuflich tätig im Management-Training und weltweit in der Aus- und Weiterbildung von Trainern, Dozenten, Ausbildern und Seminarentwicklern. Design und Leitung von Seminaren in den Bereichen Führungskräfteentwicklung, interkulturelle Kompetenz, Talentförderung, Mentorenausbildung, persönliche und soziale Kompetenz für Unternehmen im In- und Ausland.

1846 Dorminey Court, Lawrenceville, GA 30043, USA
roland@delphin-international.de
www.delphin-international.de


1 Veronica Boix-Masilla: The Future of Learning Dialogs at HGSE: A Synthesis, http://futureoflearningpz.org/wp-content/uploads/2015/01/Future-of-Learning-Dialogs-II-synthesisx.pdf 

2 Christine Redecker, Miriam Leis, Matthijs Leendertse, Yves Punie, Govert Gijsbers, Paul Kirschner, Slavi Stoyanov, Bert Hoogvelt: The Future of Learning - Preparing for Change, European Union 2011, S. 45 - http://ipts.jrc.ec.europa.eu/publications/pub.cfm?id=4719

3 Howard Gardner: Five Minds for the Future, Harvard Business School Press 2009

4 Siehe auch: managerSeminare, Heft 141, Dezember 2009

5 Morgan McCall: Career Architect Development Planner, 1996 - Basierend auf der Arbeit des Centers for Creative Leadership (CCL)

6 z.B. bei SAP, Hewlett-Packard, Coca-Cola bis hin zu GlaxoSmithCline

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