Peter Brix, Tanja Lemann, Marcel Knodel

Peter Brix, Tanja Lemann, Marcel Knodel

Die drohenden Irrtümer des klassischen Mainstream-Projektmanagements (6)

Ausblick in eine lebendigere Zukunft

Die Autoren dieser teilweise provokanten Artikelreihe geben handfeste Anregungen zur Verbesserung der Projektarbeit im Unternehmen. Gleichzeitig setzen sie Impulse zum Blick über den Experten-Tellerrand der bestehenden Projektmanagement-Gepflogenheiten.
In den vorangegangenen fünf Artikeln war von der Bedeutung der Projektkultur, der Teamentwicklung, von einfachen Instrumenten und einer praxistauglichen Projektleiter-Qualifizierung die Rede. In diesem abschließenden und wohl provokantesten Artikel wird mit einem Augenzwinkern vor Irrtümern und irrelevantem Projektmanagement gewarnt.

Der Begriff „Projektmanagement“ ist mittlerweile in die Jahre gekommen, mehr als fünfzig hat er bestimmt schon auf dem Buckel, und für die Praxis gilt das natürlich auch. Es hat sich durchgesetzt, das Projektmanagement, ist richtig, richtig Mode geworden. Das ist auch gut so, bei einem ständig wachsenden Anteil der Projektarbeit. Da stellt sich natürlich die Frage, ob Begriff und Praxis auch mit den sich stark verändernden Erfordernissen unserer Zeit mitgewachsen sind. Durchaus, beispielsweise rückte die Bedeutung der „soften“ Faktoren immer weiter in den Vordergrund. Darf die Community der Experten deswegen schon zufrieden sein, soll sich der Kunde mit Halbheiten zufrieden geben? Wir meinen: auf keinen Fall!

Gerne werden in der mittlerweile schier ausufernden Literatur immer wieder neue Zauberformeln entdeckt und Ansprüche formuliert. Aber wird auch kritisch reflektiert und gelegentlich einmal entrümpelt? Die Auseinandersetzung mit Irrtümern, das Hinterfragen tradierter, unreflektierter, unzweckmäßig gewordener Grundannahmen aus der Vergangenheit halten wir gerade in der heutigen Zeit eines generell erforderlichen Paradigmenwechsels für eine dringend erforderliche Voraussetzung, damit wir den Weg in die Zukunft nicht verfehlen oder unnütze Umwege gehen.

Mit den folgenden spontan und durchaus auch ketzerisch formulierten Statements wollen wir einerseits die bereits vorhandene kritische Einstellung der Projekt-Aktiven im Unternehmen stärken, andererseits auch provokante Beiträge für fällige Diskussionen liefern. Einen Anspruch auf grundsätzliches Rechthaben oder Vollständigkeit erheben wir damit nicht, die Forderung nach kritischem Hinterfragen schon!

Und: Humor ist beim Weiterlesen, wie ja auch in der Projektarbeit, immer hilfreich!

Irrtum Nr. 1: Viel hilft viel

Muss ein mittelständisches Unternehmen wirklich sein Projekt-Handeln in die Begriffe Integration-Management, Scope-Management, Time-Management, Cost-Management, Quality-Management, Human-Resource-Management, Communications-Management, Risk-Management und Procurement-Management zwängen oder würde es nicht auch genügen, sich darüber einig zu sein, wie man ein Angebot abgibt, ein Vorhaben startet, durchführt und abschließt und wie man miteinander umgeht?

Müssen Handbücher 100 oder 286 Seiten (mein persönlicher Rekord) umfassen oder erfüllen kleine Leitfäden – Was-Wann-Womit – den angestrebten Zweck genauso gut, wenn nicht besser?

Müssen Lehrbücher 800 oder sogar mehr als 2500 Seiten haben?

Irrtum Nr. 2: Mehr Planung – mehr Sicherheit

Die Flucht ins Detail bringt nicht zwangsläufig mehr Sicherheit und Steuerbarkeit eines Projektes mit sich! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Brücken sollten schon so geplant und gebaut sein, dass sie nach menschlichem Ermessen, auch unter extremen Bedingungen, nicht einstürzen. Aber kann die Planung eines Geschehens, also die geistige Vorwegnahme einer Dynamik in der Zukunft, Überraschungen ausschließen? Soll heißen, wir halten die ein oder andere Detailmethodik für übertrieben? Ja!

Sicherheit ist wohl eine der größten menschlichen Sehnsüchte, und zwar möglichst absolute Sicherheit, und die auch noch für immer. Ist das realistisch oder sollten wir nicht doch lieber lernen, mit der Unsicherheit besser umzugehen, die Beobachtung und die Reaktion weiter auszubauen statt das Vermeidungsstreben? Die Entdeckung und Verabschiedung einer Illusion, hier die der absoluten Sicherheit, hilft oft mehr als die zum Scheitern verurteilte Bemühung, sie weiter aufrechtzuerhalten. So könnten wir uns auch den ein oder anderen Planungs- und Darstellungs-Mehraufwand sparen und die damit verbundenen späteren Kontroll-Exzesse. Wir jedenfalls halten den Projektleiter vor Ort, auf der Baustelle, bei den Problemen und Menschen, für eine schöne Vorstellung und weniger den Projektverwalter, der Tage vor seinem Bildschirm verbringt, um dort Rechtfertigungen und Zahlenberge zu produzieren. Eine zu kleinteilige Planung erhöht demgegenüber den formellen Steuerungsaufwand und verbaut den Blick auf das Wesentliche.

Irrtum Nr. 3: Es geht um ein Projektmanagement

Ein gemeinsames Verständnis, wie man ein Projekt angeht, ist sicher von Vorteil – aber weltweit? Schön und bereits realistischer ist es, erst einmal in jeweils einem Unternehmen eine gemeinsame Anschauung darüber zu haben, wie man alle Projekte handhabt. Aber Stopp: sind nicht Projekte aufgrund der Definition unterschiedlich und brauchen deswegen auch ein hinreichend schlankes und angepasstes Tool-Set? Demnach wäre es eher weniger zweckdienlich, die Erfordernisse beispielsweise eines Anlagen-Großprojektes fast eins zu eins auf ein kleines Unternehmen oder kleineres Projekt anzuwenden. Aber was geschieht in der Praxis? Da wird schon gelegentlich mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Aus welchen Gründen auch immer eine pauschalisierende Vereinheitlichung angestrebt wird (mangelnde Einsicht, Gewinnstreben, „Methoden-Narzissmus“), an den messbaren Erfolg dieses Vorgehens zu glauben, wäre dann wohl eher ein drohender Irrtum.

Irrtum Nr. 4: Es geht überhaupt um Projektmanagement

Mit dieser sicher überspitzten Verneinung stellen wir die Überbetonung des Instrumentellen in Frage ordnen dessen Bedeutung hinter dem eigentlichen Projekterfolg ein. An dieser Stelle sei unterstrichen, dass geregeltes Projektmanagement ein (Hilfs-)Mittel zum Zweck bleiben muss und dass es kostet. Also sollte es möglichst wenig Aufwand mit sich bringen und einen möglichst großen Beitrag zur Problemlösung leisten. Wie und nach welchen Prioritäten wir handeln, nach Norm 1 oder 2, nach Handbuch, mit Menschenverstand oder mehr in guter, eingeübter, fast wortloser, Zusammenarbeit – wie beispielsweise ein Handwerkerteam – ist womöglich entscheidend! In erster Linie geht es um Erreichung der Projektziele, den wahrgenommenen Erfolg beziehungsweise Zufriedenheit mit dem Projekt, und erst in zweiter Linie kann es natürlich durchaus sein, dass uns Ideen und Anleitungen aus dem Projektmanagement dabei helfen. Jedenfalls muss ein gutes Regelwerk als solches nicht unser primäres Ziel sein. Damit ist sicher nicht der Beliebigkeit, der Schlamperei oder dem Rückschritt das Wort geredet. Vielmehr empfehlen wir, wie in unseren Artikeln 1 bis 3, der Projekt- und Teamkultur mehr Augenmerk zu schenken und damit einen direkteren Weg einzuschlagen.

Irrtum Nr. 5: Projekte sind logisch und rational

Vielleicht ist es ganz interessant, einmal einen Blick darauf zu werfen, welche Berufsmentalität die meisten Projektmanagement-Experten in die Szene einbringen. Wir werden hier sehr viele Ingenieure und Techniker, Naturwissenschaftler, Ökonomen und sonstige Problemlöser entdecken. Außerdem dürfte ein sehr hoher Prozentsatz den „Analytikern“ zuzuordnen sein. Das könnte erklären, weshalb diese Branche verstärkt deterministisch und mechanistisch denkt und ein Projekt möglichst tief in gut berechenbare Elemente zerlegen und anschließend möglichst geradlinig auf der Schiene halten möchte.

Was aber, wenn Projekte sich wie lebendige Organismen verhalten, gerne unberechenbar sind, sich am Rande des Chaos wohlfühlen und obendrein mit Menschen besetzt wären, die ihrerseits nicht vollständig rational agieren? Es gibt Leute, die das behaupten.

Wir müssten uns dann zur Sicherheit immer wieder die Frage nach der Priorität stellen von einerseits Vermeidung von Risiko und Eigendynamik und andererseits der Freude an Überraschungen und dem Umgang damit. Und Letzteres bedeutet nicht unbegründetes, „spontimäßiges“ Herumwursteln, sondern lediglich ein Um- und Weiterdenken in anderen als tayloristischen Denk- und Handlungsweisen.

Irrtum Nr. 6: Etwas richtig machen

„Wenn wir es machen, machen wir es richtig“. Das „richtig“ hat, insbesondere in Deutschland, zwei Bedeutungen: „gründlich“ und „fehlerfrei“. Die Gefahr bei gründlich ist natürlich, es zu übertreiben und bei fehlerfrei, dass wir dann konsequenterweise vielleicht sicherheitshalber lieber gar nichts tun sollten oder viel zu lange damit abwarten, um ja keine Fehler zu machen. Besonders dann, wenn wir schon öfter für Fehler negativ bewertet oder gar bestraft worden sind, ist unser Wunsch nach „richtig“ natürlich sehr groß.

Wie aber nun, wenn wir uns in großer Komplexität und in Feldern mit Neuigkeitsgrad bewegen, was von der Projektarbeit behauptet werden kann? Wo ist dann der Maßstab für richtig oder falsch? Dann könnten wir, extrem gedacht, nur auf Verdacht handeln, die Reaktion abwarten und erneut handeln. Das Streben nach Richtigkeit wäre dann eine Illusion. Ein guter, „richtiger“ Plan und „Steuerung“ hätten dann jedenfalls weniger Bedeutung als eine gute Bereifung, falls unser „Schienenfahrzeug“ sich auch überraschend abseits, in unwegsamem Gelände bewähren müsste.

Für uns sind übrigens die Begriffe gültig oder angemessen statt richtig oder falsch hilfreich geworden, heißt „voraussichtlich und bis auf Weiteres gut zur Situation und dem Zeitpunkt passend“. Zu den Axiomen wissenschaftlichen Handelns passt das jetzt natürlich etwas weniger, ist wohl existenzialistisch, aber der Lebensbewältigung wahrscheinlich dienlicher.

Ein allzu monströser Methodenansatz könnte also leicht dazu führen, dass oft gar nichts mehr gemacht wird, anstatt das wirklich Wichtige gründlich und zielführend.

Irrtum Nr. 7: Menschen sind Maschinen

Häufig ist im Projektmanagement von „Arbeitspaketbesitzern“ die Rede. Viele Projektleiter sind enttäuscht, wenn nicht genau das geschieht, was nach ihrer Vermutung eine korrekte Erledigung bedeuten würde. Das könnte heißen, man müsste eben noch genauer zerlegen und beschreiben, alles enger fassen – der klassische tayloristische Weg eben.

Hilfreicher ist aber eine andere Sichtweise: Menschen machen, im Gegensatz zu Maschinen, in der gesunden Regel gerne von ihrer Spontaneität, also ihren Wahlmöglichkeiten Gebrauch. Zudem haben Menschen Emotionen und werden auch von unbewussten Informationen beeinflusst, weswegen ihr Verhalten nicht immer als rational oder logisch empfunden wird. Aber ist deswegen ihr Eigenwille nichts wert und zu minimieren? Sollten wir nicht eher davon profitieren?

Was könnte das für unseren Projektleiter bedeuten? Kontakt zum Geschehen und ein wohlwollendes Verstehen-Wollen von Reaktionen sind wichtig, damit nicht vorschnell Lösungen über Lösungen generiert werden, die dann wiederum sehr schnell in neue Enttäuschungen münden.


So, jetzt aber mal genug nachgedacht, gelästert und irritiert. Vielleicht möchten Sie ja gerne diese Liste mit einem witzigen oder auch sarkastischen Plädoyer ergänzen oder Erfolgsberichte in Sachen Vereinfachung und Umdenken beisteuern. Darüber würden wir uns jedenfalls sehr freuen.

Mit diesem Artikel endet unsere sechsteilige Artikelreihe und wir bedanken uns spätestens hier für Ihre Neugierde.

Wir haben Ihr Interesse geweckt? Dann fordern Sie gerne das Gesamt-Artikelverzeichnis und weitere Artikel an. Wir bieten Ihnen außerdem alle Themen, einzeln oder in der von Ihnen gewünschten Kombination, als Impulsvorträge oder Gesprächsgrundlagen für Veranstaltungen in Ihrem Unternehmen.


Peter Brix, Jahrgang 1952, Dipl.-Ing., Projektmanagementfachmann und Coach:
Ich kenne als Ingenieur die Welt der Lösungsorientierung, als Trainer und Coach setze ich auf die erforderliche Prozessorientierung. Ich stehe für eine klare Linie und unkomplizierte Zusammenarbeit im Team und mit Kunden.
Kontakt: peter.brix@PROJEKTKULTUR.INFO und 08856-82167


Tanja Lemann, Jahrgang 1969, Dipl.-Wirt.-Ing., Coach und Moderatorin:
Mein Anspruch: Führungskompetenz aufbauen, Selbstreflexion erhöhen, Projektleiter und Teammitglieder sensibel in ihren Rollen coachen. Ich stehe für intensive Teamentwicklung und lebendiges Lernen.

Marcel Knodel, Jahrgang 1971, Dipl.-Ing., Internationales Projektmanagement:
Meine Kernkompetenzen sind internationales Projektmanagement und Simultaneous Engineering. Ich bin Experte für Produktentwicklungsprozesse und Innovationsmanagement, für schlankes Projektmanagement und handfeste Ergebnisse. 


Literaturhinweise:

Project Management Body of Knowledge
PMI Standards Committee, William R. Duncan

Organisationstheorien
Alfred Kieser (Hrsg.), W. Kohlhammer Verlag, 2001

Agiles Manifest: www.agilemanifesto.org

 

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