Günter W. Remmert Günter W. Remmert

Zu viel des Guten: Perfektionismus

Nein! Es geht nicht darum, die Perfektion eines Chirurgen im Operationssaal abschaffen zu wollen. Auch ich erwarte zu Recht, dass die Techniker, bevor ich in ein Flugzeug steige, nach präzisen Checklisten alles, was es zu einem gefahrlosen Flug braucht, penibel untersucht haben. Schließlich hängt von solchen Sicherheits‐Checks das Leben vieler Menschen ab. In vielen Gebieten gehört Perfektion und das Streben nach ihr einfach zu den unerlässlichen Voraussetzungen. Und wer in dieser Hinsicht nicht perfekt sein will, hat in solchen Tätigkeiten einfach nichts zu suchen.

Hier geht es um etwas anderes. Zum Beispiel um Menschen, die es einfach nicht schaffen, Aufgaben rechtzeitig fertig zu stellen, weil ihnen das Ergebnis immer noch nicht gut genug ist, obwohl sie bereits viel Zeit investiert haben. Es geht um die Anspannung, unter die sich viele setzen, weil sie hohe Ansprüche haben, um das nicht Abschalten‐Können, um die andauernde Unzufriedenheit, weil immer etwas im Blick ist, was man noch besser machen könnte.

Kennen Sie diesen Anspruch an sich selbst, in bestimmten Dingen möglichst perfekt zu sein? Erleben Sie sich in einem Dauerwettbewerb, in dem Sie als der oder die Beste abschneiden wollen? Sind Sie selten mit sich und Ihrer Leistung zufrieden? Überlegen Sie dauernd, was Sie noch besser machen können? Eifern Sie der idealen Figur und der optimalen Fitness nach und hungern Sie sich auf Idealgewicht? Streben Sie nach dem perfekten Zuhause und der perfekten Familie? Kontrollieren Sie mit Argusaugen ihr Verhalten und verzeihen sich keinen Fehler? Kleiden Sie sich stets nach der aktuellen Mode und machen Sie sich stets Sorgen, nur ja nicht overdressed oder underdressed zu sein? Bekämpfen Sie unerbittlich jeden persönlichen Makel und schämen Sie sich, wenn er zutage tritt?

Wenn etwas davon auf Sie zutrifft, dann sind Sie vom Perfektionismus angesteckt worden. Sie haben mit sehr hohen, ja übertriebenen Ansprüchen an sich selbst zu tun. Solche Ansprüche haben Sie vielleicht sogar auch an andere. Und Sie befinden sich in großer Gesellschaft. Denn es ergeht vielen Menschen ähnlich. Studien sprechen davon, dass ein Fünftel der Bevölkerung betroffen ist. All diese verschwenden viel Zeit und Energie damit, perfekt sein zu wollen.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Natürlich ist es richtig, sogar sehr nützlich, Ansprüche an sich und andere zu stellen. Diese dürfen ruhig auch etwas höher sein. Aber sie sollten realistisch bleiben. Wer anderen ständig das Gefühl vermittelt, dass sie nicht gut genug sind oder ständig herum kritisiert, macht sich schnell unbeliebt. Übrigens auch bei sich selber.

Sie oder er macht sich sein Leben so richtig schwer. Es könnte ja sein, dass Sie etwas übersehen oder vergessen haben. Sie sind häufig unzufrieden mit sich. Denn solchen Ansprüchen kann man nur sehr schwer gerecht werden. Sie sammeln geradezu Misserfolge, Einschränkungen, Fehler. Im fortgeschrittenen Stadium füllt sich Ihr Leben mit ständigem Grübeln im Dienst einer gnadenlosen Nullfehlertoleranz, mit akribischem Dauer‐Stress, unter Umständen mit persönlicher Scham und anhaltenden Schuldgefühlen.

Perfektionisten handeln nicht aus gesunder, positiver Leistungsbereitschaft, sondern aus Unsicherheit. Sie fühlen sich innerlich dazu gezwungen, alles besonders gut und richtig zu machen. Sie befürchten negative Konsequenzen. Sie wollen, was sie ängstigt, möglichst unter Kontrolle halten. Das führt zu unangenehmen Begleiterscheinungen. Das Denken von Perfektionisten dreht sich gerne im Kreis. Sie schieben auch gerne Entscheidungen auf, denn sie könnten ja eine falsche Entscheidung treffen. Häufig reagieren sie überempfindlich auf Kritik und Druck und schaffen es nicht, gegenüber bestimmten Anforderungen Nein zu sagen. Wenn man aber Aufgaben und Entscheidungen immer wieder aufschiebt, weil alles perfekt sein soll, dann gerät man leicht in einen Stau. Das Festhalten an Dingen und perfektionistische Kontrollsucht führen dazu, den Überblick zu verlieren. Perfektionisten stehen sich so selbst im Weg. Sie verlernen es, zu genießen.

Wer dem Perfektionismus entrinnen will, der sollte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Es geht nicht darum, ihn durch ein schlampiges, unzuverlässiges oder unverantwortliches Verhalten zu ersetzen. Es ist keine Lösung, eine unsaubere Arbeit abzuliefern, weil man keinen Bock hat, sich anzustrengen. Wer für seine Leistung entlohnt wird, sollte auch seine Arbeit gut machen.

Was Perfektionisten nur allzu schmerzlich erfahren, ist, dass absolute Perfektion letztlich nicht erreichbar ist. Es handelt sich um eine Utopie. Was jedoch erreichbar ist, sind realistisch gute Ergebnisse, ein Einsatz, bei dem ich mein Bestes gebe (oder vielleicht einfach nur etwas Gutes), ohne mich zu überfordern.


DEM PERFEKTIONISMUS EIN SCHNÄPPCHEN SCHLAGEN

Hier einige Tipps, wie man den Perfektionismus entmachtet:

Behalten Sie das große Ganze im Auge!

Anstatt sich in Details zu verzetteln, nutzen Sie Zeit und Gelegenheit, aus etwas Abstand auf das große Ganze zu schauen. Ein Ortswechsel kann dazu sehr sinnvoll sein, der Ausstieg aus dem Hamsterrad, die Einnahme einer Meta‐Perspektive, das Gespräch mit jemandem, der genügend Abstand hat.

Seien Sie barmherzig mit sich selbst!

Hören Sie auf, sich selbst zu beschuldigen, wenn einmal etwas nicht so geklappt hat, wie Sie es wünschten. Erfreuen Sie sich stattdessen lieber an Ihren Stärken, an dem Gelungenen. Feiern Sie Erreichtes! Vergeben Sie sich Fehler. Lachen Sie über Ihre Unzulänglichkeiten.

Steigen Sie aus dem Wettbewerb aus.

Jeder kann etwas – und manche eben etwas besser als andere. Hören Sie auf, sich mit anderen ständig zu vergleichen. Laborieren Sie nicht an dem, was Sie nicht so gut können, sondern delegieren Sie es lieber an andere.

Bitten Sie um Unterstützung.

Keiner schafft alles alleine. Es ist ein Zeichen von Größe, wenn man um seine Grenzen weiß und andere an diesen Punkten um Hilfe bittet.

Schrauben Sie Ihre Erwartungen auf eine realistische Größe herunter.

Kein Mensch erwartet von Ihnen Wunder. Es reicht, eine Sache gut zu machen. Dazu sind in der Regel 80 % vom Optimum völlig ausreichend. In den meisten Fällen bringt dies sogar mehr als ein 100‐ prozentiger Einsatz. Hier gilt: Das Bessere ist der Feind des Guten!

Rechnen Sie damit, Fehler zu machen.

Häufig lernen wir aus Fehlern mehr als aus Erfolgen. Es ist schwer, aus Fehlern zu lernen, wenn man keine macht. Sehen Sie Fehler nicht als Versagen, sondern als Chance, auf etwas Neues aufmerksam zu werden.

Laden Sie Rückmeldungen von anderen ein.

Fragen Sie danach, welchen Eindruck eine bestimmte Arbeit, ein bestimmtes Ergebnis macht. Erkundigen Sie sich danach, was andere an Ihnen schätzen, was Sie aus der Sicht von anderen gut können. Sie werden überrascht sein, wie viel Positives Sie zu hören bekommen.

Vereinfachen Sie Abläufe.

Seien Sie daran interessiert, wie Sie etwas mit noch weniger Aufwand erreichen können. Nicht der Weg, das Erreichen des Ziels zählt. Denken Sie ökonomisch, nämlich wie Sie mit dem geringsten Einsatz an Mitteln den größten Effekt erreichen können.

Entspannen Sie sich.

Vergessen Sie nicht, Pausen zu machen. Schenken Sie sich eine regelmäßige Auszeit. Genießen Sie es, die Seele baumeln zu lassen. Und vor allem: Feiern Sie auch in sog. kleinen Dingen das Geglückte!

 

Kontakt:

Seminarhaus SCHMIEDE
Günter W. Remmert M.A.
Römerstr. 5
D-54298 Welschbillig (Nähe Trier/Luxemburg)

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