Blöde Idee, große Hoffnung

Es ist, als sei der Papst plötzlich für Verhütung. Jack Welch, der wichtigste Vertreter des Shareholder-Value-Ansatzes, verabschiedet sich von seinen alten Prinzipien. Der frühere Chef des US-Elektrokonzerns General Electric sagte am 13. März in einem Interview mit der „Financial Times“: „Genau genommen ist Shareholder Value die blödeste Idee der Welt.“

An erster Stelle des Unternehmensinteresses sollte laut Welch nicht die Steigerung des Aktienkurses, sondern vielmehr die Mitarbeiter, Kunden und Produkte stehen.

Der Shareholder-Value-Ansatz lässt sich kurz so zusammenfassen: Der Vorstand einer AG will aus Eigennutz unter allen Umständen die überzogenen Erwartungen des Kapitalmarkts erfüllen. Die hohen, kurzfristigen Renditevorgaben haben nichts mehr mit der Wettbewerbs­- und Branchensituation in der Realität zu tun. Jeder Mitarbeiter sieht das sofort. Nach einiger Zeit zeigen das auch die Zahlen. Um trotzdem den Profit zu erhöhen, vermeidet der Vorstand gezielt größere Investitionen, zum Beispiel in Erneuerungen oder in die Personalentwicklung. Dann versucht er, mit Kostensenkungsprogrammen und Umstrukturierungen zu retten, was zu retten ist. Üblicherweise wiederholt sich diese kurzatmige Vorgehensweise über Jahre, bis die Substanz des Unternehmens erheblich geschädigt ist.

Obwohl sie eigentlich gute Arbeit machen, stürzen die Mitarbeiter von einer Misserfolgserfahrung in die nächste und werden Weltmeister im Schuldzuschreiben an andere. Heikle Fragen werden mit der nächsten Managementebene nicht mehr besprochen. Es herrscht Misstrauen und Risikoscheu, und jeder kocht sein eigenes Süppchen. Viele Mitarbeiter sehen keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit und verlieren den früheren Stolz, an etwas Wichtigem mitzuarbeiten.

Welchs komplette Kehrtwende ist gerade in der heutigen Zeit begrüßenswert, denn sie gibt den börsennotierten Aktiengesellschaften eine Chance, jetzt neuen Sinn zu stiften. Sinn (und daraus abgeleitet Hoffnung) brauchen die Mitarbeiter auch deshalb so dringend, um sich vom lähmenden Einfluss der Wirtschaftskrise zu befreien (siehe auch unsere Interviews auf Seite 16 und Seite 62).

Viel Spaß mit der neuen Ausgabe von „wirtschaft + weiterbildung“ wünscht

Martin Pichler

Martin Pichler, Chefredakteur

 

 

editorial der Ausgabe 4/2009 der Fachzeitschrift wirtschaft + weiterbildung
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
www.wuw-magazin.de

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