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Offensive Mittelstand „KMU Verlierer oder Gewinner im demografischen Wandel?“

Impressionen vom Kongress in Berlin am 24.06.14

Katrin Seifert

Die Offensive Mittelstand wurde vor neun Jahren mit Unterstützung der Bundesregierung ins Leben gerufen. Sie geht Hand in Hand mit INQA – Initiative Neue Qualität der Arbeit. Es geht darum, dem Mittelstand Instrumente in die Hand zu geben, um mittel- und langfristig diesen u.a. durch nachhaltige Fachkräftegewinnung, -entwicklung und –bindung zu unterstützen.

 

Die Unternehmen werden auf eine dynamisch vernetzte und zirkuläre Arbeitswelt eingestellt, um als gesunde Unternehmen auch in der Zukunft bestehen zu können. Dabei wird von einer zunehmenden Abhängigkeit zwischen Kunde, Umwelt, Mensch und Technologie ausgegangen. Die Initiative setzt sich im Moment aus 240 Partnern bundesweit zusammen, die gemeinsam Standards und Praxisinstrumente schaffen. Zahlreiche Berater und Trainer arbeiten dort ehrenamtlich mit.

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Rolle der Weiterbildung

Wenn Menschen dahinter stecken, gibt’s auch immer soziale Prozesse. Ein erfolgreiches Team kann auf Dauer nur dann erfolgreich sein, wenn es gesund, kompetent und motiviert ist. Andrerseits erfahren wir zurzeit eine enorme technologische Entwicklung, die scheinbar den Menschen überflüssig macht. Umso wichtiger ist es, in Unternehmen das Bewusstsein zu schärfen, dass man wirtschaftlich erfolgreicher ist,  wenn man frühzeitig die Partizipation erhöht, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert, die Diversivität im Team ausbaut, die Arbeitsbedingungen attraktiver gestaltet, so dass die Menschen gern zur Arbeit gehen.

Berater haben hier ihren Einsatz: In der Analyse der Ist-Situation, um gemeinsam mit dem Unternehmen eine Zukunftsvision zu entwickeln. Trainer sind gefragt, wenn es um die Umsetzung der Maßnahmen geht, denn hier menschelt es noch häufig, gibt es Widerstände gegen das Neue, Schnelle. Michael Geisler, Bundesverband der Restauratoren, meinte dazu: Fort- und Weiterbildung muss sichtbar sein. Denn es ist eine Imagesache. Potenzielle Azubis informieren sich heute über das Internet, kaum noch über Offline-Printmedien.

„Nicht ändern“ schützt vor Fortschritt (nicht)

Festgestellt wurde, dass inzwischen in allen Branchen das Wissen angekommen ist, dass wir vor einem „demografischen Loch“ stehen. Trotzdem wandern noch viele Firmen sehenden Auges ohne irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen in ihr Verderben. Mehrere Redner gingen darauf ein. Auch da wäre ein Betätigungsfeld für Trainer und Berater: Firmen sensibilisieren, dass die Zukunft heute (oder gestern schon) beginnt. Personalprozesse brauchen mindestens 3-5 Jahre, ehe sie sich etabliert haben.

Prof. Dr. Frank Schirmer von der TU Dresden untersuchte mit seinem Team die Reflexivität von Führung in Bezug auf Innovativität. Dabei stellte er fest, dass viele Ideen einfach versanden, ineffiziente Praktiken und unzutreffende Ansichten entgegen des „besser Wissens“ einfach beibehalten, selbst kostenlose Tools als zu schwerfällig eingeschätzt, ohne dass sie überhaupt ausprobiert werden.

Es gibt ein fehlendes Problembewusstsein gegenüber den Konsequenzen des demografischen Wandels. KMUs sind sehr flexibel im direkten Kundenkontakt, denken aber nicht langfristig. Es läuft ja alles im Moment. Altersproblematik? Eher nicht, ich bin doch auch noch da. Nun gut, die Azubis könnten besser lernen…

Auch, wenn z.B. 60jährige Unternehmer gefragt werden, ob sie 50jährige Mitarbeiter einstellen würden, trifft man auf Vorurteile: Die können nicht mehr so konzentriert arbeiten, werden schneller krank u.a.

Weil alles gut läuft, wird nur in Quartalen oder wenigen Jahren gedacht. Die Bewältigung des demografischen Wandels fällt hinten runter.

Die Kosten-Nutzen-Rechnung ist meist schlicht. Alternativkosten werden nicht erkannt. Demografische Untätigkeit kostet ja nichts. Dieses Problem kennen wir aus der Weiterbildung: Weil die Firma nicht unmittelbar ein Ergebnis nach der durchgeführten Weiterbildung in der Hand hat, kann die Weiterbildung ja nicht viel wert sein. Dabei wirkt unsere gute Arbeit doch erst mittel- bis langfristig. Denn Gewohnheiten und Einstellungen der Menschen lassen sich nicht per Knopfdruck ändern.

Aber auch hier gilt der Spruch von Lichtenberg: „Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn’s dann aber besser werden soll, muss es anders werden.“

Wir Weiterbildner können dabei helfen.

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Beraten wollen, aber nicht wissen, wie

Interessanter Weise haben inzwischen viele Anbieter die Demografieberatung (DB) für sich als Einnahmequelle entdeckt: Krankenkassen, Rentenversicherung, Zertifizierer, Unis, Trainer… Rund 70% der Berater wollen sich mit dem Thema DB gern profilieren. Doch keine Beratergruppe deckt alle Felder ab. Hier heißt es, ehrlich zu analysieren, in welchen Bereich ich meine Kompetenzen habe, und dann sich Kooperationspartner zu suchen, um gemeinsam das Gesamtpotenzial zum Wohle des Unternehmens ins Spiel zu bringen. Auch hier könnte das TTD als Vorbild voran gehen. Demografie geht alle an.

Am interessantesten auf diesem Kongress fand ich allerdings den Beitrag von Welf Schröter, den Leiter des Forums Soziale Technikgestaltung „Industrie 4.0“. Er provozierte mit zwölf Thesen hinsichtlich der technischen Zukunft, die auf alle von uns zukommt. Dieser Vortrag verursachte mir Gänsehaut.

Hinweis: Die Thesen basieren auf meiner Mitschrift und geben zum großen Teil seine Gedanken 1:1 wider, angereichert durch meine Erfahrungen und den Bezug auf Kleinstunternehmen und Weiterbildnern. Auf Zitate verzichte ich, da ich dies anhand der Mitschrift nicht mehr rekapitulieren kann. Ausdrücklich sei auf das geistige Eigentum von W. Schröter verwiesen.

Industrie 4.0

Der Begriff „Industrie 4.0“ steht für eine Stufe, in der sich unsere Gesellschaft gerade befindet. Schröter erläuterte:

  1. Die Geschäfts- und Arbeitsabläufe wandern immer mehr und immer schneller ins Netz. Das betrifft den kleinen Handwerker wie auch uns Weiterbildner. Früher traf man sich, um Verträge zu machen. Heute schreibt man Emails. Das bedeutet aber auch, dass die Abstraktion wächst. Sind wir und unsere Kunden darauf eingestellt? Erste Menschen verweigern sich. Ist das die Lösung?
  2. Durch die Virtualisierung kommen andere qualitativ veränderte Anforderungen auf uns Anwender zu. Ich merke es z.B. im Akquiseprozess: Die meiste Zeit benötige ich dabei inzwischen für das formatgerechte Zusammenstellen von Dokumenten. Das bedeutet, ich muss z.B. pdf-Konvertierer auch als Ordnungsinstrument beherrschen. Darin aber kann wiederum eine Chance für die Weiterbildner liegen, die diese Kompetenzen den KMU anbieten können.
  3. Eine besondere Ausprägung von Abstraktion ist die zunehmende Komplexität in der Organisation von Wertschöpfungs-, Auftrags- und Arbeitsabläufen. Dies betrifft insbesondere Betriebe bis zu 10 Personen. Wenn ich nur an meine Zertifizierung denke, was die alles für Parallelprozesse benötigt, um einfach nur gute Weiterbildung durchführen zu können. Und alles soll elektronisch nachgewiesen werden. Bei meiner letzten QM-Beratung halfen wir uns dann schließlich über eine Cloud.
  4. Doch gerade diese neuen Plattformtechnologien, wie die „Cloud“ bedeutet eine Erhöhung von Abstraktion und Komplexität. Kaum betrete ich eine neue Website, schon werde ich auf die Auslagerungsmöglichkeit, die ja ach so sicher sei, aufmerksam gemacht. Doch je genauer ich hinschaue, umso mehr sehe ich amerikanische Anbieter. Wollen wir das? Wo bekommen wir vertrauenswürdige Lösungen her? Es läuft auf Handwerker bezogen gerade dazu ein Projekt www.cloudwerker.de, das aber noch nicht den Stein des Weisen gefunden hat.
  5. Aber es reicht noch nicht! Wir stehen vor/in einer neuen Stufe der Abstraktion und Komplexität durch das „Internet der Dinge“. Materielles und Nichtmaterielles werden im Netz verknüpft und reden miteinander, aber nicht mehr mit mir. Zukunftsvision? Mein Handy meldet mir, dass ich heute noch keine virtuelle Englisch-Lektion absolviert habe. Lidl um die Ecke schickt mir eine Packung Joghurt-Becher, weil dieser Platz im Kühlschrank leer ist. Dabei bin ich doch nur im Urlaub… (oder habe mich gerade getrennt…?). Die Dinge brauchen keinen Aufpasser mehr. Eine nette elektronische Stimme verbessert mein Englisch. Alles, was vom Menschen hergestellt oder produziert werden kann, hat einen eigenen Netzzugang. Der Mensch wird nicht mehr gebraucht. Was bedeutet das für die Weiterbildung?
  6. Industrie 4.0 bedeutet eine Entortung und Entzeitung. Ging ich früher zur Druckerei in der Stadt, um Visitenkarten zu bestellen. So erstelle ich sie mir heute mit Software selber, und per Knopfdruck werden sie mir ins Haus geliefert. In den nächsten fünf Jahren wollen und sollen wir einen europäischen Standard entwickeln. Wo steht da die Weiterbildung? Die bisherigen Stufen waren:
    ·         Kommunikation von Mensch zu Mensch
    ·         Kommunikation von Mensch zu Maschine
    ·         Kommunikation von Maschine zu Mensch
    ·         Kommunikation von Maschine zu Maschine

    Ob wir wollen oder nicht, wir rutschen da auch rein. Erst hatten wir das Internet der Menschen, dann der Dinge und nun der Dienste, die Menschen, Objekte und Systeme vernetzen.
  7. Weiterbildner, KMUs werden Bestandteile von „klugen“ Vernetzungen und „klugen“ neuen wirtschaftlichen Organisationsmodellen sein müssen, um an veränderten Wertschöpfungsprozessen teilhaben zu können. Nur mal kurz so tun, als ob es funktioniert, geht nicht mehr. Es gilt, kluge Beziehungen aufzubauen. Und wir müssen davon ausgehen, dass wir nicht mehr mit unserer Wahrnehmung auf der Höhe der Zeit sind.
  8. Und hier wieder eine Ermutigung: Abstraktionen und Komplexitäten sind weder Urgewalten noch Naturereignisse. Von Menschen gemacht, können sie auch von Menschen erklärt werden! Gerade Menschen aus Kleinbetrieben und Handwerk benötigen Ermutigung, um sich den Zugang zum Verständnis zuzutrauen. Es geht um die Stärkung des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls. Silversurfer sind z.B. so ein Ausdruck. Hier ist im Transfer Sensibilität gefragt, also unsere Stärke, liebe Weiterbildner.
  9. Das Nicht-Verstehen-Können der Undurchschaubarkeit, der Abstraktion und Komplexität führt oftmals dazu, dass Menschen dies als Barrieren wahrnehmen und sich als abgegrenzt empfinden. Die Lehr- und Lernansätze müssen deshalb verstärkt diesen Zielgruppen angepasst werden. Blended Learning wird die Wahl der Mittel, Orientierungswissen muss vermittelt werden.
  10. Eine weitere Ermutigung: Für einen gestalterischen Umgang mit Komplexität ist reife geronnene Lebenserfahrung vielleicht wichtiger als digitales Datenwissen. Wir brauchen also Diversivität in den Teams. In den Demografie-Betrachtungen sollte das Erfahrungswissen mit berücksichtig werden. Erfahrene können bei der Weitergabe der Komplexität helfen.
  11. Unsere Geschäfts- und Arbeitsabläufe werden zukünftig durch technische Vernetzungen angetrieben noch mehr und deutlich verstärkt durch die Fähigkeit der Kooperation und Zusammenarbeit geprägt sein müssen. Die Fragen dazu von Welf Schröter gehen mir nicht aus dem Kopf: Komme ich darin vor? Will ich darin vorkommen? Wie können wir Firmen unterstützen, ihre Leute zu halten? Ich muss erst mal verstehen, worüber die Leute reden (statt zuzumachen). Dieser technologische Prozess wirkt wie eine Kontinentalverschiebung!
  12. Die großen Netzwerke Offensive Gutes Bauen und Offensive Mittelstand sind geeignet über ihre Beratungs- und Transferangebote die Herausforderungen der wachsenden Abstraktion und Komplexität zu schultern. Wir brauchen neben „Industrie 4.0“ eine Initiative „Gestaltung 4.0“ aus der Perspektive der KMU und des Lebenslangen Lernens. Übrigens meinte Schröter, dass diese Diskussion am erfolgreichsten wird, wenn die PartnerInnen sie unterstützen. Diese Auseinandersetzungen werden nicht mehr beim Kunden, sondern zu Hause geführt.

Packen wir also diese Herausforderung an. Seien wir als Weiterbildner dabei!

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Katrin Seifert
Leiterin des Trainertreffen Berlin-Brandenburg
berlin@trainertreffen.de

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