Künstliche Intelligenz braucht echte Führung – warum Technologie ohne Haltung ins Leere läuft
Ein Plädoyer für Klarheit, Kommunikation und Verantwortung im deutschen Mittelstand
Deutschland spricht über KI – meistens in der Grammatik von Tools, Daten und Rechenleistung. Doch die wirklich entscheidenden Fragen sind anderer Art: Wer übersetzt Technologie in Sinn? Wer nimmt Menschen mit? Wer trägt Verantwortung, wenn Algorithmen Entscheidungen vorbereiten, die am Ende Menschen treffen müssen? In meinem neuen Buch „Künstliche Intelligenz & echte Führung“ argumentiere ich: Nicht die Maschine ist der Engpass – es ist die Führung. KI verstärkt, was schon vorhanden ist: Klarheit oder Chaos, Vertrauen oder Misstrauen, Lernkultur oder Angstkultur. Wer das übersieht, steigert vor allem die Geschwindigkeit – nicht die Richtung.
Mein Buch startet nicht zufälligerweise mit dem Statement „Wenn Informationen die Lösung wären, wären wir alle Milliardäre mit Sixpack.“ Die Antwort sind nicht „Informationen“. Die Antwort ist „Führung und Umsetzung“. Die Einführung von KI ist kein IT-Projekt, sondern ein Kommunikations- und Kulturprojekt. Kommunikation ist dabei kein „Soft Skill“, sondern Führungsarbeit im Kern: zuhören, differenzieren, Orientierung geben. Gerade dort scheitern viele Vorhaben – nicht, weil Modelle zu schwach sind, sondern weil die Gesprächsführung schwach bleibt. „Ohne Kommunikation kein Change“ heißt eine der frühen Thesen im Buch – sie klingt nüchtern, ist aber in der Praxis radikal.
Haltung vor Handbuch
Der erste Schritt zur KI-Reife ist kein Prompt und kein Proof of Concept, sondern Haltung. Wer KI „unter Kontrolle bringen“ will, behandelt sie wie einen gehorsamen Assistenten – und verbaut damit das, was sie stark macht: ihre Funktion als Sparringspartner, als zweite Perspektive auf Probleme, als Katalysator für besseres Denken. KI ist kein Ersatz für Führung, sondern ihr Prüfstein. Sie verlangt Entscheidungskraft und Verantwortungsbewusstsein, aber ebenso Mut, Kontrolle abzugeben und Widerspruch zuzulassen. In den „9 Schritten zur KI-Exzellenz“ nenne ich das explizit: sich von der Illusion totaler Kontrolle verabschieden und das Zusammenspiel Mensch-Maschine aktiv gestalten.
Dazu gehören klassisch „weiche“ Kompetenzen, die im KI-Zeitalter zu harten Auswahlkriterien werden: Empathie, Reflexionsfähigkeit, Präzision in Sprache und Entscheidungslogik. Diese Fähigkeiten sind nicht delegierbar – im Gegenteil: Je mehr Automatisierung, desto wichtiger die menschliche Urteilskraft, die auswählt, kontextualisiert und verantwortet.
Die eigentliche Arbeit: übersetzen
Viele Unternehmen unterschätzen die Übersetzungsleistung, die Führung heute erbringen muss. Es geht um Brücken zwischen Fachlichkeit, Technik und Alltag – zwischen Mensch und Maschine. Gute Führung setzt dazu an drei Stellen an:
- Klarheit schaffen. Nicht: „Welche Tools brauchen wir?“, sondern: „Welches Problem lösen wir – und wie verändert KI unser Geschäftsmodell, unsere Prozesse, unsere Rollen?“ Diese Klärung ist keine Folie, sondern ein Gespräch über Verantwortung, Risiken und Optionen – immer wieder. Dass KI Organisationen verändert, steht außer Frage; ob sie dabei die richtigen Dinge verstärkt, ist eine Frage von Klarheit.
- Kommunikation professionalisieren. Führung heißt heute vor allem, unterschiedliche Rationalitäten anschlussfähig zu machen: die Sprache des Geschäfts, der Technik, der Compliance, der Kunden. Wo die einen über Genauigkeit sprechen, sprechen die anderen über Tempo; wo die einen Risiken sehen, sehen die anderen Chancen. Die Kunst liegt nicht darin, einen Diskurs zu „gewinnen“, sondern ihn so zu strukturieren, dass aus Perspektiven Entscheidungen werden.
- Lernräume bauen. KI-Einführung gelingt dort, wo Menschen ausprobieren dürfen, Fehler entdramatisiert werden und Ergebnisse gemeinsam reflektiert werden – nicht als „Projekt“, sondern als neue Praxis. Führung wandelt sich vom „Boss“ zum „Trainer“: Sie organisiert Lernen, statt Leistung nur zu kontrollieren.
Der deutsche Sonderfall: Stärke und Risiko
Unser Mittelstand lebt von Spezialisierung, Zuverlässigkeit und hoher Prozessreife. Das ist eine Stärke – und zugleich das Risiko. Denn KI belohnt Experimente, iteratives Lernen und die Bereitschaft, etablierte Routinen in Frage zu stellen. Wer KI nur nutzt, um Bestehendes effizienter zu machen, verpasst ihren strategischen Hebel: neue Angebote, neue Service-Logiken, neue Kundenschnittstellen. Die zentrale Führungsaufgabe lautet daher unter anderem: das Tagesgeschäft sichern und Freiräume schaffen, in denen Teams mit KI Wertschöpfung neu denken. Anders gesagt: die Organisation so aufstellen, dass sie beides kann – skalieren und dazulernen.
Von der Tool-Schlacht zur Prinzipien-Arbeit
In einer Debatte, die sich oft in Toolvergleichen verliert, plädiere ich für Prinzipien – nicht als starre Regeln, sondern als inneres Betriebssystem, das Orientierung gibt. In meinem Buch beschreibe ich „7 radikale Führungsprinzipien“ für das KI-Zeitalter – etwa: „Code ist Nebensache – Verständnis ist Führungssache“ oder „Die Zukunft gehört nicht der KI, sondern den Leadern, die sie klug nutzen“. Das ist kein Anti-Technologie-Statement, sondern eine Priorisierung: Erst Kontext, dann Code. Erst Haltung, dann Handbuch.
Diese Prinzipien sind bewusst anschlussfähig: Sie helfen Vorständen, Mittelstands-CEOs und Bereichsleitern gleichermaßen, schneller zu sehen, worum es wirklich geht – gerade dann, wenn es unübersichtlich wird. Mein Anliegen ist dabei nicht, „Rezepte“ zu liefern. Ich gebe Werkzeuge, Fragen und Rahmen, die es ermöglichen, die eigenen Entscheidungen besser zu treffen – und sie vor sich und anderen zu verantworten.
Woran gute KI-Führung zu erkennen ist
- An der Sprache der Entscheider. Wer präzise fragt, bekommt präzisere Antworten – vom Team wie von der Maschine. Führung wird in Fragen sichtbar, nicht in Schlagworten.
- Am Umgang mit Fehlern. „Fail forward“ ist kein Slogan, sondern ein Arbeitsmodus. Lernen wird nicht vertagt, sondern institutionalisiert – retrospektiv, rhythmisch, transparent.
- An der Verbindlichkeit. KI-Strategien enden nicht in Präsentationen. Sie zeigen sich in Budgets, Prioritäten, Rollen und Verantwortlichkeiten – und darin, wie konsequent entschieden, fokussiert und auch mal beendet wird, was keine Wirkung entfaltet.
- An der Ethik. Wer skalieren will, muss vorher klären, wessen Werte skaliert werden. Governance ist kein nachträglicher Lack, sondern Teil des Designs.
- An der Wirkung nach innen. Gute KI-Führung erhöht die Arbeitsqualität und reduziert kognitive Last – nicht um Menschen zu ersetzen, sondern um ihre Stärken häufiger zur Geltung zu bringen. Wenn ein Unternehmen mit KI „mehr Mensch“ wird, ist es auf dem richtigen Weg.
Das Versprechen der Technologie – und die Zumutung der Führung
KI verschiebt Grenzen des Machbaren, aber sie entbindet niemanden vom Denken. Sie fordert uns heraus, präziser zu beobachten, besser zu unterscheiden und bewusster zu entscheiden. Wer diese Zumutung annimmt, gewinnt: Geschwindigkeit und Richtung, Effizienz und Relevanz, Daten und Deutung. Genau das ist die eigentliche Chance dieser Zeit.
Mein Buch ist deshalb kein Technikbuch, sondern ein Buch über Entscheidungen – und darüber, wie man sie im Zeitalter von KI trifft: mit Mut, Maß, Empathie und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Wer so führt, wird aus Angst Energie machen, aus Widerstand Beteiligung – und aus Technologie Fortschritt.
Zum Autor
Marco Terracciano ist Unternehmer, Keynote-Speaker und Berater für strategische KI-Implementierung. Seit über zwei Jahrzehnten begleitet er Führungskräfte und mittelständische Unternehmen bei der Umsetzung von Digitalisierung und KI. Seine Perspektive verbindet Praxisnähe und Haltung: klare Sprache, erprobte Werkzeuge, keine Technik-Folklore. „Künstliche Intelligenz & echte Führung“ ist sein Plädoyer für eine Führung, die Menschen und Maschinen zusammenbringt – und dabei Verantwortung nicht delegiert, sondern lebt.
Bildnachweis: Marco Terracciano



