Problemlösungsprozesse initiieren: Führung ist Sensemaking
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Problemlösungsprozesse initiieren
Führung ist Sensemaking
Prof. Dr. Falko E. P. Wilms
Die Handlungsfähigkeit einer Organisation(seinheit) hängt von dem gemeinsamen Verständnis der Situation und nützlicher Verhaltensweisen ab. Hier setzt das Konzept des Sensemaking an, auf dem auch das St. Galler Management-Modell beruht.
Der Ausgangspunkt
Der interaktive Kommunikationsprozess (Abb.1), mit dem die Mitglieder einer Organisation den aufgenommenen Erlebnisstrom in sinnvolle Ereignisse gliedern und durch die Einordnung in einen Gesamtzusammenhang eine Bedeutung zuordnen, wird Sensemaking genannt.1
Die Art und Weise des durchgeführten Sensemakings bewirkt dann die „Erklärung“ bzw. das „Verständnis“ der Ereignisse.
Abb. 1: Der Kommunikationsprozess
Der interaktive Prozess des Sensemaking (Abb. 2) wird ausgelöst durch die Wahrnehmung eines Ereignisses, das so nicht erwartet wurde. Dieses „Rohmaterial“ aus dem Erlebnisstrom wird als zu deutendes Ereignis markiert und anhand eines vertrauten Referenzrahmens so interpretiert bzw. gedeutet, dass die an sich gegebene Mehrdeutigkeit auf eine einzige Deutung reduziert wird.
Diese Reduktion erfolgt maßgeblich anhand des immer wieder benutzten Reservoirs an zusammenhängenden mentalen Modellen, was letztlich der verfügbaren Wissenslandkarte der Organisation entspricht. So gewinnen die Organisationsmitglieder ein gemeinsames Verständnis von ihrer Organisation und von deren bedeutsamer Umwelt. So schaffen sich Organisationen das, was sie als Umwelt verstehen.
Durch dieses Sensemaking halten die Mitarbeiter den (Gedanken-)Kontakt zur Organisation(sein-heit) und deren Verständnis der internen Wertschöpfung. Bricht dieser Kontakt ab, ist der einzelne Beteiligte allein auf sein individuelles Denkmuster angewiesen. Das Ableiten übergreifender Handlungen wird dadurch so gut wie unmöglich.
Abb. 2: Der Prozess des Sensemaking in Anlehnung an Weick2
Das St. Galler Management-Modell
Genau hier setzt das aktuelle St. Galler Management-Modell der 4. Generation3 an und versteht Sensemaking als kommunikatives Aushandeln und gemeinschaftliches Entwerfen von sinnvoller Bedeutung. Dieses Sensemaking ist mit dem Ziel zu prüfen und zu präzisieren, das jeweilige Ergebnis für die Weiterentwicklung der Wertschöpfung zu verwenden.
Abb. 3: Das St. Galler Management-Modell der 4. Generation auf der 2. Auflösungsebene4
Das aktuelle St. Galler Management-Modell besteht aus den drei aufeinander verweisenden Schlüsselkategorien Umwelt, Organisation sowie Management und weist drei Auflösungsebenen mit unterschiedlichem Detaillierungsgrad auf.
Die Schlüsselkategorien
Umwelt wird als eine Ressource für organisationale Wertschöpfung verstanden, denn sie ist das, was die Beteiligten im Rahmen ihres Sensemaking hinsichtlich der Weiterentwicklung der Wertschöpfung als „bedeutsam“ einstufen. Hierbei sind Diskurse zu führen, in denen Kontroversen ausgetragen werden und durch wechselseitige Bezugnahme Beziehungen zu den unterschiedlichsten Gesprächsteilnehmern geknüpft, gefestigt und gepflegt werden.
Demgegenüber wird Organisation verstanden als ein System von arbeitsteiligen Wertschöpfungs- und Entwicklungsprozessen, das durch Sensemaking zusammengehalten wird und sich an ökonomischen Diskursen ausrichtet und für externe Kommunikations-Partner gezielt Nutzen bietet. Ein verbindlicher Referenzrahmen mit gemeinsamen Bezugspunkten (z. B. Kundennutzen) ist Voraussetzung für eine zusammenhängende Entscheidungspraxis im Dienste der Entwicklungsdynamik der angestrebten Wertschöpfung.
Schließlich wird Management verstanden als arbeitsteiliger, kollektiver Prozess des Sensemaking zur Weiterentwicklung der aktuellen Wertschöpfung. Die Corporate Governance ist dabei Voraussetzung für die Wirksamkeit des Executive Managements als eine reflexive Weiterentwicklung der Wertschöpfung. Die konkreten Management-Praktiken setzen mit diesem Hintergrund Methoden und Instrumente ein, um die unternehmerischen Herausforderungen zu meistern.
Fazit
Führungskräfte haben die unterschiedlichsten Prozesse des Sensemaking zu gestalten. Insbesondere die Ausgestaltung der benutzbaren bzw. dokumentierten Wissenslandkarte und ihrer Referenzpunkte ist das wesentliche Betätigungsfeld wirksamer
Führungskräfte.
Der Autor: Prof. Dr. Falko Wilms
arbeitet als Trainer, Fasciliator, Berater & Hochschullehrer. Er leitet die Studiengruppe für Organisations-Entwicklung an der FH Vorarlberg in Dornbirn, Österreich.
falko.wilms@fhv.at
www.staff.fhv.at/wf
1 Vgl.: Weick, K. E.: Sensemaking in Organizations, Thousand Oacks 1995
2 Vgl.: Weick, K. E.: The Social Psychology of Organizations, 2nd Ed., New York 1979, S. 132
3 Vgl.: Rüegg-Stürm, J./Grand, S.: Das St.Galler Management-Modell. 4. Generation - Einführung, Bern u. a., 2014. Die überarb. 2. Aufl. wird vermutlich im Herbst 2015 erscheinen.
4 In Anlehnung an Rüegg-Stürm, J./Grand, a. a. O, S. 11 in Verbindung mit S. 40, 76 und 126