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Problemlösungsprozesse initiieren

Konstruktive Aussprache statt irreführende Diskussion

Prof. Dr. Falko E. P. Wilms

Diskussionen über Denk- oder Beurteilungsergebnisse führen zumeist nicht weiter. Besser ist eine Aussprache über die Frage: Welche Menge an Bezugspunkten soll der Referenzrahmen beinhalten, auf dem unser Denken und unser Urteilen beruht?

Ausgangspunkt

Nachdem er sich gesetzt hat sieht jemand aus kurzer Distanz, wie ein Mann auf eine Frau zugeht und ohne zu zögern mit einem langen Messer auf sie einsticht; eine rote Flüssigkeit ist zu sehen und bald schon bewegt sich die Frau nicht mehr.

Für das Verständnis dieser Situation ist es maßgeblich zu wissen, wo der Beobachter sich hingesetzt hat: Sitzt er in einer öffentlichen Straßenbahn, dann sah er eine Tote und einen Täter eines Tötungsdeliktes. Sitzt er hingegen in einer Theatervorstellung, dann sah er eine Schauspielerin und einen Schauspieler auf der Bühne, die beide am Leben geblieben sind.

Das Verständnis oder die Bedeutung eines Sachzusammenhangs (content; hier: Mann ersticht Frau) ist also abhängig von dem Gesamtzusammenhang (context; hier: Tötung oder Theaterszene), in der man einen beobachteten Sachzusammenhang zu verstehen versucht.

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Content als Menge möglicher Inhalte

Der Anglizismus content bezeichnet Formen des Inhaltes und Informationsgehalts. Die Bedeutung oder der Sinn (content) einer gesprochenen Aussage bzw. einer Handlung ist nur dem zugänglich, der die vom Sprecher bzw. vom Akteur bei seinem Tun vorausgesetzte Menge möglicher Inhalte (context) kennt.

Die vom Akteur vorausgesetzte Menge an Möglichkeiten kann sich z. B. beziehen auf Fachbegriffe einer (Fach)Sprache in der Kommunikation, Bezugspunkte des Referenzrahmens in der Beurteilung oder Handlungsoptionen im Rahmen in der Entscheidung. Durch die Menge an vorausgesetzten Möglichkeiten werden bestimmte Ereignisse wahrscheinlicher und andere Ereignisse unwahrscheinlicher: Einigt man sich z. B. im Team auf Englisch als Sprache, sinkt die Wahrscheinlichkeit des Gebrauchs von deutschen Begrüßungsformeln wie „Guten Tag“.

Das unerwartete Auftreten von bislang nicht beobachteten Ereignissen bewirkt eine Veränderung der gedanklich vorausgesetzten Menge an Möglichkeiten und damit eine Veränderung des Kontextes: Wenn z. B. die Absatzmengen immer abrupter schwanken, dann vergrößert sich die Anzahl der potentiellen Absatzmenge in der kommenden Periode. Prognosen werden unsicherer und die konkrete Arbeit an langfristigen Planungen wird sich weniger auf Prognosen stützen.

Context als Menge der Bezugspunkte

Unter einem Kontext (engl. context; lat. contextus: Verbindung, Verknüpfung und contexere: verknüpfen, verflechten) versteht man die Einbettung eines Sachzusammenhangs in einen Gesamtzusammenhang, Datenkranz, Hintergrund, Milieu oder Sinnhorizont. Vereinfachend formuliert: Kontext meint die Bezugspunkte, die dem eigenen Verständnis eines Sachzusammenhangs zugrunde gelegt werden.

Hinsichtlich der arbeitsteiligen Zusammenarbeit sind insbesondere folgende Kontexte wirksam:

  • Kommunikativer Kontext (konkrete Gesprächssituation, Formen des Sprechens, Signale des Zuhörens und des Schweigens etc.).
  • Sachlicher Kontext (aktuell verfügbare Daten-, Informations- und Wissensbestände, Konditionen der Verfügbarkeit etc.).
  • Zeitlicher Kontext (Zuordnung fester Zeitkontingente zu einzelnen Aufgaben, linear sequentielle oder parallele Aufgabenbearbeitung etc.).
  • Räumlicher Kontext (Architektur, Funktionstüchtigkeit der Infrastruktur, Wege- bzw. Transportnetz und deren Konditionen etc.).
  • Technischer Kontext (Qualität und Umfang der technischen Infrastruktur, deren Funktionstüchtigkeit, Konditionen ihrer Verfügbarkeit etc.).
  • Budgetärer Kontext (finanzielle Mittel, Konditionen ihrer Verfügbarkeit, Möglichkeiten der Bepreisung von Ressourcenmengen etc.).

Es kommt in der arbeitsteiligen Zusammenarbeit immer wieder vor, dass unterschiedliche Personen den selben Sachzusammenhang in verschiedenen berufs-, verantwortungs- oder gewohnheitsbedingte Gesamtzusammenhänge durchdenken, analysieren und zu sehr unterschiedlichen Beurteilungen gelangen, siehe Abb. 1a: So wird z. B. der Techniker die Wahrscheinlichkeit des Gelingens einer Produkteinführung eines Gerätes in einem technischen Kontext beurteilen und u. a. auf die Verarbeitungsqualität und den Umfang der gebotenen Funktionen von dem Gerät beachten. Hingegen wird der Controller die Wahrscheinlichkeit des Gelingens der Produkteinführung des Gerätes in einem budgetären Kontext beurteilen und dafür u. a. die aufzuwendenden Finanzmittel, die Qualität der Bepreisung von Ressourcen sowie die Herstellkosten und die Einnahmen bzw. den Gewinn pro verkauftem Gerät beachten.

Das Benutzen verschiedener Kontexte führt Techniker und Controller zu verschiedenen Beurteilungen der Wahrscheinlichkeit des Gelingens der Produkteinführung. Beide Beurteilungen sind gut begründet und daher kaum zu entkräften. Eine Diskussion der Beurteilungsergebnisse wird daher fruchtloser sein als eine Aussprache über die Beurteilungsbedingungen anhand der Frage: Welche Menge an Bezugspunkten soll der Referenzrahmen beinhalten, auf dem eine gute Beurteilung beruht?

Budgetärer Kontext

Die in der arbeitsteiligen Zusammenarbeit im Rahmen einer zeitlich und/oder örtlich verteilten Wertschöpfung bedeutsamen Kontexte sind natürlich weder trennscharf noch unabhängig voneinander. Aber im heutigen von ökonomischen Kategorien geprägten Denken gewinnt nicht nur in beruflicher Hinsicht der budgetäre Kontext an Bedeutung: Er passt gut zum buchhalterischen Denken und zum Denken in Mengen, deren Verbrauch durch Stückpreise nach den gleichen Regeln monetär in Geldeinheiten bewertet werden. Insofern Daher liegt die Versuchung nahe, möglichst viele Kontexte über den budgetären Kontext als miteinander verbunden anzusehen und über die Kalkulation in das ökonomische Kalkül einzubeziehen. Damit wird es möglich, die verschieden-sten Sachzusammenhänge in einem bestimmten Gesamtzusammenhang zu bedenken und zu beurteilen, siehe Abb. 1 b.: Eine Diskussion über unterschiedliche Beurteilungsergebnisse wird vermieden, dem Urteil des Controllers wird gefolgt. Die Qualität dieser budgetären Kontextsensitivität im Denken und Handeln ist jedoch fraglich: ein Surfbrettverleih am Stand sollte nicht allein anhand von buchalterischen Kennzahlen geführt werden. Wetter und Wellengang mögen nicht buchhaltungsfähig sein, sind aber doch Erfolgsfaktoren des Geschäfts!

Fazit

Arbeitsteilige Zusammenarbeit und zeitlich und/oder örtlich verteilte Prozesse der Wertschöpfung werden durch Diskussionen über Denk- oder Beurteilungsergebnisse eher geschwächt. Zielführend sind Absprachen über die Bezugspunkte des Referenzrahmens, auf dem ein gemeinsames Bedenken und Beurteilen von Sachzusammenhängen beruhen soll.

Das podcast über die Vermeidung des Kategorienfehlers finden Sie unter: https://www.youtube.com/watch?v=7IacpegbkRk

Dieser Text beruht auf Wilms, F. E. P.: Das CIRCU-Modell. Arbeitsbericht Nr. 3 des Departments SOWI der FH Vorarlberg, Dornbirn 2016.

 

Der Autor: Prof. Dr. Falko E. P. Wilms

arbeitet als Trainer, Dialogbegleiter, Berater & Hochschullehrer. Er leitet das Competence Center of Communication & Collaboration an der FH Vorarlberg in Dornbirn, Österreich.

falko.wilms@fhv.at 
www.staff.fhv.at/wf

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